Der phänologische Kalender teilt das Jahr in zehn Jahreszeiten ein (Aktuell: Vollherbst). Diese orientieren sich an den periodisch auftretenden Vegetationsphasen der Pflanzen. Leitpflanzen wie Hasel, Apfel oder Holunder spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Das Johanniskraut ist zwar keine Leitpflanze, markiert mit seiner Blüte jedoch den Wechsel vom Früh- in den Hochsommer. Darauf deutet auch sein Name hin, für den der Johannistag am 24. Juni Pate gestanden hat und der die Tage der Sommersonnenwende anzeigt.
Namensgeber des 24. Juni ist Johannes der Täufer, der in der christlichen Mythologie als Künder von Gesundheit, Fruchtbarkeit und Licht gilt. Als bedeutungsvoller Heiliger wurde sein Name mit dem ebenso bedeutungsvollen Lostag verknüpft. Lostage sind Tage, die das Wetter der kommenden Wochen anzeigen und daher wichtige Hinweise für die Arbeiten in Garten und Feld liefern.
Das mehrjährige Johanniskraut (Hypericum perforatum) erblickt bereits im März das Licht des Gartens, um bis Mitte Juni seine endgültige Höhe von knapp unter einem Meter erreicht zu haben. Die goldgelben, zu Trugdolden angeordneten Blüten, zeigen die Zeit zwischen Früh- und Hochsommer an, wenn das Wachstum vieler Pflanzen stoppt und sich die Früchte ausbilden, die ihrer Fortpflanzung dienen. Schon vor dem Übergang zum Spätsommer beginnen die Blüten zu welken und schicken ihre winzigen Samen mit dem Wind durch den Garten (Johanniskraut ist sehr vermehrungsfreudig). Schließlich verwelken auch die Blätter, bevor im Winter nur die ausgetrockneten Stängel zu sehen sind.
Bekannt ist das Staudengewächs Hypericum perforatum vor allem für seine heilende und magische Wirkung. Es lindert depressive und psychovegetative Störungen, wofür sein Inhaltsstoff Hypoferin verantwortlich gemacht wird, der ähnlich einem SSRI (selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer) auf Neurotransmitter wirkt. Das Öl der Pflanze dient als Wundheitlmittel und lindert Muskelschmerzen. Angeblich soll Johanniskraut die beste Wirkung entfalten, wenn es in der Nacht des 23. Juni geerntet wird.
Ein weiterer pflanzlicher Begleiter des Jahreskreises ist der Baldrian (Valeriana officinalis, in unserem Garten liebevoll Baldi genannt), der sich im Beet munter zwischen das Johanniskraut gemischt hat. Auch diese Heilpflanze beginnt gegen Ende des Frühsommers zu blühen, um im Spätsommer nach intensiv duftender Blüte abzusterben. Ähnlich dem Johanniskraut verbreitet es sich fleißig im gesamten Garten und verfügt ebenfalls über eine lindernde Wirkung bei depressiven Verstimmungen, Angststörungen und Stressbelastung. Verantwortlich dafür wird eine Kombination aus Verpotriaten, Isovaleriansäure und ß-Caryphyllen gemacht.
Während der Baldrian den Winter in seinen Wurzeln überdauert, beginnt seine Vegetationsperionde bereits sehr früh im Vorfrühling (Feb. – März). Das muss sie auch, schließlich gilt der Baldrian – auch Duvelskraut genannt – als Abwehrkraut für böse Geister und den Teufel.
Auf dieser Seite verfolgen wir die Vegetationsphasen eines Beetes voller Johanniskraut und Baldrian im Jahresverlauf. Dazwischen tummelt sich noch Zitronenmelisse, Schnittlauch, Gras und nicht näher bezeichnetes (Un-)Beikraut.
Phänologischer Kalender
Winter: Dezember – Ende Februar; Vegetationsruhe
Vorfrühling: Ende Februar – Ende März; Austrieb, Blattentfaltung
Erstfrühling: Ende März – Ende April; Austrieb, Blattentfaltung
Vollfrühling: Ende April – Ende Mai; erste Blüte bis Ende Blüte
Frühsommer: Ende Mai – Mitte Juni; erste Blüte bis Ende Blüte
Hochsommer: Mitte Juni – Ende Juli; Fruchtreife
Spätsommer: Ende Juli – Ende August; Fruchtreife
Frühherbst: Ende August – Ende September; Fruchtreife
Vollherbst: Ende September – Anfang November; Blattverfärbung, Blattfall
Spätherbst: Anfang November – Anfang Dezember; Blattverfärbung, Blattfall
Mensch, Natur und Vergänglichkeit
Ein interessanter Aspekt an der Betrachtung der Vegetationsphasen von Pflanzen ist das intuitive Erleben von Entstehen, Vergänglichkeit und Zirkularität. Es darf als gesichert gelten, dass der Mensch als Teil der Natur ein inneres Naturerleben empfindet, das mit der Wahrnehmung und Auseinandersetzung der sinnlich erfahrbaren „äußeren“ Natur korrespondiert. Ebenso ist die Naturerfahrung von elementarer entwicklungspsychologischer Bedeutung im Kindes- und Jugendalter. Dabei hilft auch die Ambivalenz der Natur, die sich zwischen den Polen Vergänglichkeit und Kontinuität bewegt. In der so gearteten inneren Auseinandersetzung zwischen der natürlichen und sozialen Umwelt wirkt sich die Naturerfahrung letztendlich als sinnstiftend aus.
Zu den Fotos von Johanniskraut und Baldrian