Die Psychologie der Kommunikation: Grundlagen

Gesellschaftliches Leben, menschliches Miteinander oder soziale Systeme können ohne Kommunikation nicht existieren. Mehr noch, sie konstituieren sich erst durch Kommunikationen. Hier einige hoffentlich hilfreiche Grundlagentexte zu diesem hochspannenden Thema.

Hierbei handelt es sich um ein Skript, das ich im Rahmen einer Dozententätigkeit für eine Fortbildungseinrichtung verfasst habe.

Psychologie der Kommunikation

 Teil 1: Einführung in den Themenbereich sowie in das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun (die vier Seiten der Nachricht)

 

Inhalt:

1 Was ist Kommunikation?

1.1 Definitorische Näherungen

1.2 Formen der Kommunikation

1.3 Basisregeln der Kommunikation

1.4 Kommunikation in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen 

1.4.1 Soziologie: Kommunikation in der Handlungstheorie

1.4.2 Soziologie: Kommunikation in der Systemtheorie (nach Luhmann)

1.5 Die Kommunikationswissenschaft

1.6 Kommunikation in der Psycholog2.

2. Die vier Seiten einer Nachricht (Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun)

2.1 Interaktion, Interpunktion und Metakommunikation

2.2 Der dreistufige Wahrnehmungsprozess

2.2.1   Ohne eine begründete Wahrnehmung: Phantasien über mein Gegenüber

2.3  Der Empfänger und seine Reaktion: Feedback

2.4  Nachrichten und Botschaften

2.4.1  Verbale und nonverbale Anteile: Kongruenz und Inkongruenz von      Nachrichten

2.5  Die Bestandteile einer Nachricht

2.6  Die „vier Ohren“ des Empfängers

2.6.1 Überbetonung des Sachaspekts 

2.6.2 Überbetonung des Beziehungsaspekts

2.6.3  Überbetonung des Selbstoffenbarungsaspekts

2.6.3.1 Problem: Immunisierung durch den Diagnose-Fokus

2.6.3.2 Chancen der SO-Betonung: das aktive Zuhören

2.6.3.3 SO- vs. BEZ-Charakter einer Nachricht

2.6.4.   Überbetonung des  Appellaspekts

2.6.4.1 Finale (auf einen Zweck hin gerichtete) Betrachtungsweise

2.6.4.2 Funktionalitätsverdacht.

 

 Die Nachricht als Produkt des Empfängers

3.1  Quellen für Empfangsfehler

3.2 Die innere Reaktion des Empfängers auf eine Nachricht

 

 

  1. Was ist Kommunikation?*

1.1 Definitorische Näherungen

Kommunikation (lat. communicatio = Mitteilung, Verbindung) im weitesten Sinne ist jede Form wechselseitiger Übermittlung von Informationen durch Zeichen / Symbole zwischen Lebewesen und Maschinen.

Kommunikation im engeren Sinne ist die zwischenmenschliche Verständigung mittels sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel. 

Kommunikation ist die Fähigkeit des Individuums, seine Gefühle und Ideen einem anderen mitzuteilen, sowie die Fähigkeit von Gruppen, enge und vertrauliche Verbindungen miteinander zu haben. (St. Chase)

Kommunikation ist jede erkennbare, bewusste oder unbewusste, gerichtete oder nicht-gerichtete Verhaltensänderung, mittels derer ein Mensch (oder mehrere Menschen) die Wahrnehmung, Gefühle, Affekte, Gedanken oder Handlungen anderer absichtlich (oder auch unabsichtlich, FS) beeinflusst.

Kommunikation ist die nachrichtliche Übertragung oder Signalisierung von sozial signifikanten Bezugsinhalten (oder Symbolen), wobei das Transmissionsgut nicht Materie oder Energie ist, sondern die Qualität von Zeichen aufweist (K.W. Deutsch)

1.2 Formen der Kommunikation 

  • Intrapersonelle K.: Kommunikation innerhalb des Individuums, das ein Träger verschiedener (miteinander kommunizierender) Rollen ist. Aber auch innerpsychische Prozesse wie etwa Selbstklärung oder Phantasien. Betrifft vor allem: (Individual-)Psychologie, Sozialpsychologie  
  • Interpersonelle K.: Bilaterale K., die alternierend zwischen Kommunikator und Rezipient stattfindet. Betrifft vor allem: (Individual-)Psychologie, Sozialpsychologie  
  • Gruppen-Kommunikation: Kommunikation in einem komplexen Netz sozialer Beziehungen. Betrifft vor allem: Sozialpsychologie
  • Kategoriale K.: Prägung von Kommunikationsmustern durch gemeinsame sozial relevante Merkmale in größeren Personengruppen (etwa soziale Schichten wie Arbeiter, Beamte, Abgeordnete etc.). Die Beteiligten sind dadurch für den Austausch spezifischer Informationen prädisponiert (vorgeprägt).  Betrifft vor allem: Sozialpsychologie, Soziologie (hier z.B. Diskursanalyse, Wissenssoziologie)  

1.3 Basisregeln der Kommunikation

  1. Reziprozität: Wechselseitigkeit (mit gewissen Einschränkungen bei der intrapersonellen Kommunikation)
  2. Indexikalität: Kontextbezug; Kommunikation ist immer in einen situativen Kontext eingebettet, der sie sinnhaft und somit verstehbar macht.
  3. Etikettierungen / Stereotype: Voreinstellungen, die Komplexität reduzieren und eine problemlose Orientierung in einer sozialen Situation ermöglichen.

Kommunikation ist eine unabdingbare Voraussetzung für:

  1. die Sozialisation (Gesamtheit aller Vorgänge, in deren Verlauf ein Individuum zu einem aktiven Angehörigen einer Gesellschaft und Kultur wird. Das Individuum wird so zur handlungsfähigen Persönlichkeit.): Die im Sozialisationsprozess vermittelten Inhalte können nur durch Kommunikation transportiert werden.
  2. die Persönlichkeitsbildung: Sie vollzieht sich im Wechselspiel zwischen Individuum und sozialer Umwelt. Auch hier werden die relevanten Informationen durch Kommunikation transportiert.
  3. Entstehen und Ablauf des sozialen Geschehens: Alle dynamischen Vorgänge, die soziale Beziehungen konstituieren und steuern, basieren auf Kommunikation. Ohne Kommunikation ist soziales Leben grundsätzlich nicht möglich.

 

1.4 Kommunikation in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen

Soziologie: Die Lehre von den Voraussetzungen, Abläufen und Folgen menschlichen Zusammenlebens, gemeinhin des Sozialen. (Und später dann vom Taxifahren; FS)

Kommunikationswissenschaft: Lehre von Bedingungen, Struktur und Verlauf des Informationsaustausches auf Basis von Zeichensystemen.

Psychologie: Lehre vom Seelischen. 

1.4.1 Soziologie: Kommunikation in der Handlungstheorie

Handeln vs. Verhalten: Handeln ist ein nicht-zufälliges, sinnhaftes und zielorientiertes Tun sozialisierter Individuen, Verhalten dagegen nur instinkthaftes / reflexhaftes / impulsives Reagieren auf Stimuli.

Handeln ist determiniert durch soziale Verhältnisse und Elemente der sozialen Ordnung einer präformierten (vorgeformten) Welt, in die das Individuum hineintritt. Beide Begriffe werden aber außerhalb der soziologischen Fachsprache häufig synonym gebraucht.

Kommunikation ist aus dieser Perspektive eine Sozialhandlung, die nicht als Einzelhandlung von Individuen beschrieben werden kann. Das Handeln Kommunizierender ist nur in Bezug aufeinander und in Form von Teilhabe zu verstehen. Diese vollzieht sich mithilfe gemeinsamer symbolischer Orientierungssysteme, die sinnhafte Interaktion erst ermöglichen. 

Diese Sozialhandlung hat zwei Aspekte:

Rezipieren: Wahrnehmen und Schlussfolgern auf Basis von Zeichenprozessen und

   in Bezug auf den Produzierenden („Sender“).

Produzieren: Darstellen und Argumentieren in Beug auf den Rezipierenden.

Kommunikation ist so die wesentliche Handlung, die Gemeinschaft erst ermöglicht und erhält.

 

1.4.2 Soziologie: Kommunikation in der Systemtheorie (nach Luhmann)

Grundbegriff „System“: Betrifft die Wechselwirkungen aufeinander bezogenen Handelns mehrerer Systemelemente (Individuen, Gruppen, Organisationen). Ein System besitzt ein Mindestmaß an Struktur (Integration / Geschlossenheit seiner Elemente zueinander) sowie ein Mindestmaß an Abgrenzung zur Umwelt / Außenwelt. 

Ein System ist eine Identität, die sich in einer komplexen und veränderlichen Umwelt durch Stabilisierung einer Differenz zwischen Innen und Außen erhält. Durch diese symbolisch-sinnhafte Grenzziehung werden Bereiche unterschiedlicher Komplexität geschaffen und aufrecht erhalten.  

Es gibt folgende Systemfunktionen:

  1. Ausbildung einer konstitutiven Grenze: Herstellung einer selektiven Beziehung zwischen System und seinen überkomplexen Umwelten. Diese Beziehung erfolgt auf Basis intersubjektiv geteilten Sinnes als Ordnungsform sozialen Handelns. Dabei handelt es sich um eine grundlegende Selektionsleistung, die sich funktional auf Ausbildung und Erhalt einer bestimmten Systemidentität bezieht.
  1. Erschließung von Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung: Diese kann als wesentliche motivationale Grundlage für die Systembildung angesehen werden. Ein System ist immer mehr, als die bloße Summe seiner Elemente. Es kommt zur Entwicklung eines „Surplus“, sog. emergenter Qualitäten (z.B. Geborgenheitsgefühl in Paarbeziehungen, Zugehörigkeitsgefühl im Sportclub).
  1. Ausbildung von Strukturregeln zur Absicherung der Bedürfnisbefriedigung: Um die Produktion der emergenten Qualitäten (derentwegen das System u.a. gebildet wurde) aufrecht zu erhalten, werden normative Strukturregeln ausgebildet. Diese steuern das Verhalten der Systemelemente.
  1. Zielgerichtete Koordination von Systemprozessen: Um Systemziele kontinuierlich zu verfolgen, müssen Systemprozesse zielgerichtet koordiniert werden. Zentral hierfür ist die sprachlich-symbolische Prozessierung von Sinn, mit der sich das System seinen eigenen Realitätsbereich innerhalb seiner Umwelten schafft. 
  1. Selbstbestimmung der Systemziele: Die eigenständige Entscheidung selbstgewählter Ziele stellt vor dem Hintergrund der operativen Kontingenz (Kontingenz = alles, was möglich, aber nicht notwendig ist; operative Kontingenz = das komplette und unendlich große Universum an irgendwie möglichen Aktionen, Zielen, Handlungen, Ideen).   

Kommunikation ist aus dieser Perspektive eine grundlegende Operation, die soziale Systeme erzeugt und erhält.

Diese Operation besteht aus drei Selektionen aus der unbegrenzten Welt des Möglichen:

  • Information: diese eine gewählte Information schließt alle möglichen anderen aus
  • Mitteilung: durch die Auswahl des Mitteilens kann die Information beim Empfänger verstanden werden
  • Verstehen: der Empfänger kann aus dem Raum des Möglichen im Grunde jede andere Botschaft verstehen

Alle drei Selektionen sind zwingend notwendig. Die Kommunikation ist also erst dann erfolgt, wenn auch verstanden wurde. Dabei werden die Kommunikationspartner kreisförmig eingeschlossen.

Solange die Kommunikation (jeweils bestehend aus den drei Selektionen)  anschlussfähig bleibt, können soziale Systeme hergestellt und erhalten werden.

Allerdings ist Kommunikation nach Luhmann unwahrscheinlich, weil eine doppelte Kontingenz herrscht: Jeder Seite des Kommunikationsprozesses steht für die drei Selektionen ein jeweils unendlich großer Möglichkeitsraum zur Verfügung. Die Wahrscheinlichkeit, immer wieder die „richtigen“ Auswahlen zu treffen, sind daher gering.

Gesellschaftliche Steuerungsmedien helfen, zwischen der doppelten Kontingenz zu vermitteln.

Im Zentrum dieser Theorie steht also nicht der Mensch, sondern die Kommunikation. Die Gesellschaft ist hier ein soziales (Makro-)System, das sich durch unzählige einander anschließende Kommunikationen reproduziert.  

 

1.5 Die Kommunikationswissenschaft

Die Wissenschaft von den Bedingungen, der Struktur und des Verlaufs des Informationsaustausches auf Basis von Zeichensystemen. Sie kann Teildisziplin anderer Fachgebiete sein (insb. Sozialwissenschaft, Psychologie, Medienwissenschaft oder auch Informatik).

Die Kommunikationswissenschaft umfasst ebenso gesellschaftswissenschaftlich orientierte Forschungsrichtungen, die Kommunikationsprozesse aus psychologischen, sozialwissenschaftlichen, philosophischen oder auch sprachwissenschaftlichen Aspekten beleuchten. Ebenso aber auch nachrichtentechnische Disziplinen der Informationsverarbeitung durch datenverarbeitende Maschinen (EDV). 

So umfangreich und vielschichtig, wie die K-Wissenschaft ist, so umfangreich ist auch die Anzahl der angewendeten Kommunikationsmodelle. Sehr geläufig als Grundannahme ist jedoch ein Sender-Empfänger-Modell, das die Kodierung und Dekodierung einer Nachricht einschließt:

Sender – Kodierung  Empfänger – Dekodierung

Die Nachricht ist hier eine bedeutungstragende Zeichenfolge, die im Kommunikationsprozess auf Basis eines Codes an den Empfänger gesendet wird.

Der Code ist eine Vereinbarung über eine Zeichenmenge zum Zweck des Informationsaustausches. Informationen werden so formuliert, dass die Zeichen 

  1. syntaktisch (Strukturebene: die formalen Beziehungen zwischen den einzelnen Zeichen wie Ziffern, Buchstaben etc.)
  1. semantisch (Bedeutungsebene: auf Wort- und Satzebene) 
  1. pragmatisch (Situationsebene: die Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihren spezifischen Verwendungssituationen)

geregelt sind.

 

1.6 Kommunikation in der Psychologie

Klassische Strömungen der Psychologie:

  1. Tiefenpsychologie: Die Lehre vom Unbewussten, Psychoanalyse. Kern ist die Annahme von sehr mächtigen psychologischen Prozessen, die parallel zu den bewussten wahrnehm- und steuerbaren Impulsen und Gedanken in „der Tiefe“ der Psyche ablaufen, ohne dass der Mensch davon Kenntnis hat. Sie folgen in der Regel vollkommen anderen Gesetzmäßigkeiten, als der bewusste Teil der Psyche, und sind dabei außerordentlich wirksam. Die Psychoanalyse ist ein Instrument, diese verborgenen Impulse über die Methode der Assoziation aufzuspüren und ins Bewusste zu überführen. Kritisiert wird hieran vor allem das (angebliche) Fehlen einer hinreichenden wissenschaftlich-methodischen Fundierung. 
  2. Behaviorismus: Diese Lehre hat sich in bewusster Konkurrenz / Abgrenzung zur Tiefenpsychologie entwickelt. Zum Einsatz kommt ein strikt naturwissenschaftliches Vorgehen, das ausschließlich objektiv messbare Phänomenen fokussiert. Da innerpsychische Phänomene nicht darunter zählen, werden sie vom Behaviorismus konsequent ausgeblendet. Das menschliche Gehirn erscheint so als eine „Black Box“, in die nicht hineingeschaut werden kann und deren Funktionsweise einzig durch die Beziehung von eingebrachten Stimuli / Reizen und daraufhin beobachteten Reaktionen zu analysieren ist. In seiner weiteren Entwicklung wurde der Behaviorismus zunehmend vom Kognitivismus abgelöst, der menschliches Verhalten als Kette innerpsychischer Reize und Reaktion beschreibt.  Kritisiert wird am Behaviorismus vor allem die Reduzierung menschlichen Verhaltens auf physiologische und biologische Faktoren, ebenso die naive Ausblendung innerpsychischer Vorgänge.
  1. Humanistische Psychologie: Hier wird in erster Linie in einem anwendungsorientierten Ansatz die kreative Kraft zur menschlichen Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt gestellt. In zweiter Linie erst geht es um die Entwicklung eines eigenständigen Analyseinstrumentariums. Psychische Störungen entstehen in dieser Perspektive durch äußere (und als Konsequenz dann auch innere) Blockierungen der Selbstentfaltung. Das Menschenbild der Humanistischen Psychologie lässt sich wie folgt umreissen:

Der Mensch:

    •   ist an seiner Vergangenheit interessiert
    •   entwickelt seine Zukunft
    •   handelt in der Gegenwart
    •   akzeptiert Andersartigkeit
    •   nutzt die Chance, von anderen zu lernen
    •   strebt nach Freiraum und Entwicklung

Auf kommunikationsbezogene Beispiele aus den psychologischen Schulen soll hier verzichtet werden, weil sich alles Folgende damit beschäftigt. Im Zentrum steht dabei zunächst die Humanistische Psychologie (Kommunikationsmodell von F. Schulz v. Thun, Themenzentrierte Interaktion) und die Tiefenpsychologie (Transaktionale Analyse nach Eric Berne). 

  1. Die vier Seiten einer Nachricht (Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun)

Friedmann Schulz von Thun ist ein ehemaliger Hochschullehrer am Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg (2009 emeritiert) und ehemaliger Schüler und Mitarbeiter des Hamburger Psychologen Reinhard Tausch. Sein Kommunikationsmodell gehört zu den am weitesten verbreitetsten, was nicht zuletzt daran liegt, dass er in seinen Publikationen einen sehr verständlichen Schreibstil pflegt und sich nicht nur an ein Fachpublikum richtet. Theoriegeschichtlich orientiert er sich am Modell des Sprachpsychologen Karl Bühler, der bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts drei Sprachaspekte unterschieden hat (Darstellung = Sachinhalt, Ausdruck = Selbstoffenbarung, Appell), sowie an Paul Watzlawik, der den Inhalts- und Beziehungsaspekt der Sprache herausgearbeitet hat. 

 

  

2.1 Interaktion, Interpunktion und Metakommunikation

Zu den Basisregeln der Kommunikation gehört die Reziprozität, die Wechselseitigkeit. Es gehören also stets mindestens zwei Kommunikationspartner dazu, wenn sich einer der beiden in einer bestimmten Weise verhält. 

Persönliche Eigenarten (Aggressivität, Dominanz, gehemmte Passivität, Schüchternheit etc.) und individuelle Verhaltensweisen (Körpersprache, Gesprächstaktik oder Gesprächs-Nicht-Taktik etc.) s  ind immer interaktionsbedingt, d.h. das Resultat einer spezifischen Kommunikationssituation, die das Gegenüber (ALTER, der andere) zwingend einbezieht. Der Kommunikationsparter (ALTER, das Gegenüber, Objekt) trägt durch sein Verhalten in einer konkreten Situation wesentlich dazu bei, wie ich (EGO, handelndes Ich, Subjekt) mich fühle, mich selbst begreife und welche Persönlichkeit ich besitze. Letzere kann je nach Situation und ALTER variieren.

Diese Sichtweise ist:

  • ent-individualisierend: zwischenmenschliche Verhaltensweisen werden nicht mehr in erster Linie aus den Eigenarten des Individuums erklärt, sondern aus den Gesetzen der laufenden Interaktion
  • ent-moralisierend: es gibt keinen Täter und kein Opfer; ALTER muss immer mitspielen und beteiligt sich so an der Konstruktion der Eigenarten von EGO

Eng damit zusammen hängt das Phänomen der Interpunktion (Gliederung) (Paul Watzlawick): Das willkürliche Festlegen eines Verhaltens als Ursache oder als Folge eines Ereignisses. Menschen neigen dazu, ihr Handeln vornehmlich aus Reaktion auf ein Ereignis zu bewerten, weniger aber als Ursache. Der Kommunikationsprozess hat eine kreisförmige Gestalt, was bedeutet, dass jedes Verhalten sowohl Ursache als auch Wirkung sein kann. Die Kommunikanten legen dieser kreisförmigen Gestalt jedoch eine willkürliche Struktur von Ereignisabfolgen zugrunde, die wahrnehmungs-, kultur- und interessenspezifisch ist.  

Das führt bei Konflikten oft dazu, dass sich alle Beteiligten im Recht sehen, weil ihr jeweiliges Verhalten als Folge des Fehlverhaltens der anderen gesehen wird.

Beispiel: Er geht nach abendlichem Streit morgens ins Arbeitszimmer, weil sie noch schläft. Als sie wach wird und sein Fehlen bemerkt, kritisiert sie ihn „weil er wegen des Streites dichtmacht und keinen Wert auf ihre Anwesenheit legt“. Denkbar ist allerdings, dass der Gang ins Arbeitszimmer gar nichts mit Streit zu tun hat, sonder mit dem Arbeitspensum.   

Bestes Gegenmittel: Explizite Metakommunikation, also die Kommunikation über die Kommunikation (Gerhard Metzger), das bewusste Verlassen des eigentlichen (evtl. gescheiterten) Gesprächsverlaufes mit dem Ziel der Analyse des Geschehenen. Es erfolgt eine Auseinandersetzung darüber, wie Nachrichten entschlüsselt werden sollen und wie von ALTER darauf reagiert wurde. Die Kommunikationspartner sollten sich dabei idealer Weise in einer Haltung der respektierten Distanz und Offenheit begegnen.

(Implizite Metakommunikation: Jede Nachricht besitzt einen Aspekt, der verdeckt darauf hinweist, wie sie gemeint sein soll). 

 

 

2.2 Der dreistufige Wahrnehmungsprozess

Die  Wahrnehmung von Phänomenen kann in drei Unterprozesse aufgegliedert werden:

  1. Wahrnehmen / Perzipieren: Das subjektive / sinnliche Wahrnehmungserlebnis (etwas sehen, etwas hören). Hieran sind noch keine kognitiven (mentalen / verstandesmäßigen) Prozesse geknüpft.
  1. Interpretieren: Die sinnlich erfahrenen Phänomene werden mit Bedeutung versehen. Die geschieht vor dem Hintergrund der erfahrenen Sozialisation sowie der aktiven Persönlichkeitseigenschaften. Interpretationen können richtig oder falsch sein. Da fehlerhafte Interpretationen nie ausgeschlossen werden können, sollte sich der Kommunizierende darüber im Klaren sein, dass er stets „falsch liegen“ kann. 
  1. Fühlen: Auf das Wahrgenommene und Interpretierte wird mit eigenen Gefühlen (Gefühl =  subjektives Erleben einer Emotion) geantwortet. Wichtig hierfür ist die aktuelle psychische Konstitution. Gefühle sind dabei psychologische Realitäten, sie sind weder wahr noch falsch, weder verkehrt noch richtig. 

Hierbei stellt sich die Schwierigkeit, dass die drei Wahrnehmungsprozesse im Kommunikationsalltag kaum auseinander gehalten werden, bzw. die Kommunikanten nicht gewohnt sind, ihre Wahrnehmung als dreistufigen Ablauf zu betrachten. In der Regel verschmelzen die drei Prozesse subjektiv zu einem möglicherweise problematischen Ganzen, was dazu führt, dass der Empfänger einer Nachricht übersieht, dass seine Reaktion das Resultat seiner eigenen innerpsychischen Vorgänge ist.  

Wer also begreift, dass die eigene Reaktion auf eine Nachricht sein eigenes „Psychoprodukt“ ist, kann a) durch Metakommunikation oder einfaches Nachfragen überprüfen, ob die eigene Reaktion gerechtfertigt ist, und b) kritische Gesprächssituationen entschärfen, indem man die (fremde) Reaktion des Gegenübers als dessen möglicherweise irrtümliches „Psychoprodukt“ begreift und so korrigierend eingreifen kann.     

 

 

2.2.1 Ohne eine begründete Wahrnehmung: Phantasien über mein Gegenüber

Phantasien sind Vermutungen über Gedanken und Gefühle von ALTER, denen keine klar angebbare Wahrnehmung zugrunde liegt. Das unterscheidet sie von der Interpretation, die auf nachvollziehbaren / nennbaren Wahrnehmungen beruht. 

Phantasien sind nicht per se schlecht, sie reduzieren die Komplexität der situativen Umwelt und sparen kognitive Ressourcen, indem eine Art „automatische Kategorisierung“ des Erlebten vorgenommen wird.

Um so wichtiger ist es, sich stets bewusst zu machen, dass Phantasien Produkte der eigenen Psyche sind und darüber hinaus richtig oder falsch sein können. 

Phantasien können für sich behalten, aber auch durch direkte Befragung auf ihren Realitätsgehalt überprüft werden.    

Bsp.: „ Mir kommt es so vor, als seist du böse über meine Sauferei. Hast du ein Problem damit?“

Kontakt vs. Isolation: Werden Phantasien als wahr angenommen und für sich behalten, isoliert man sich tendenziell von seinen Mitmenschen. Erst in der Realitätsprüfung tritt man in Kontakt und schafft sich so eine belastbare Grundlage für eine gelungene Kommunikation. 

Selbsterfüllende Phantasien: Unzutreffende Phantasien, die nie eine Korrektur erfahren, bestätigen sich scheinbar immer wieder aufs Neue. Indem man im zwischenmenschlichen Kontakt unbewusst entsprechende Signale aussendet, kann das Gegenüber zu Handlungen veranlasst werden, die die Phantasie letztlich erfüllen. 

Bsp.: Mann glaubt, seine Frau sei böse, wenn er auf Treffen mit den gemeinsamen Freunden ein paar Flaschen Bier trinkt. Bei jeder Flasche denkt er „oh, sie guckt so komisch, bestimmt hat sie was dagegen“. Seine Haltung ihr gegenüber wird von diesen Gedanken geprägt. Und siehe da: Sie bemerkt diese Veränderung seines Verhaltens, verknüpft es mit dem Bierkonsum und mag es schließlich wirklich nicht, wenn er trinkt.  

Phantasien als Kontaktbrücke: Offen ausgesprochene Phantasien können sich als Quelle eines guten Kontaktes zum Gegenüber erweisen. Denn: Unausgesprochenes belastet die Kommunikation („dicke Luft“), unausgedrückte Gefühle sind schleichendes seelisches Gift und ausgedrückte Gefühle ermöglichen eine Veränderung der emotionalen Realität.  

Bsp.: Ein klärendes Gespräch zum Thema Biertrinken mit gemeinsamen Freunden zeigt ihr, dass er ihr Vertrauen schenkt und ein elementares Interesse an ihrer Meinung hat. Darauf aufbauend kann sich ein viel vertrauensvollerer Umgang aufbauen, der eine viel bessere Kenntnis des jeweils anderen Partners einschließt und die Beziehung nachhaltig verbessert. 

2.3 Der Empfänger und seine Reaktion: Feedback

Die Reaktion des Empfängers auf eine Nachricht ist zum überwiegenden Teil dessen eigenes psychisches Werk (dazu später mehr). Daher trägt er ein hohes Maß an eigener Verantwortung für sein seelisches Erleben, und nicht primär der Sender einer Nachricht.  

Feedback kann die Kommunikation verbessern, wenn es einen hohen Selbstoffenbarungs-Anteil („was ist mit mir momentan los“) hat. Die Rekurrierung  auf eigene Gefühle ist dabei besonders wichtig, während Schuldzuweisungen hinderlich sind. „Ich fühle mich verletzt“ ist der bessere Weg des Feedbacks, als ein anklagendes „Du hast mich verletzt“. Letzteres ist eine Unterstellung, ersteres die Schilderung einer realen (psychischen) Tatsache. 

In Ich-Botschaften mit hohem Selbstoffenbarungs-Anteil gibt  man von seinem Innenleben preis, schildert sein psychisches Erleben. Damit gibt man ALTER die Möglichkeit, die Reaktionen von EGO besser zu verstehen. 

Die Du-Botschaft ist demgegenüber eine Aussage über den ALTER. Meist werden Gefühle über den anderen schnell in Beschreibungen über den anderen übersetzt („Ich fühle mich übergangen“ wird zu „Du bist rücksichtslos“). Eine konstruktive Problemlösung wird so erschwert, weil für ALTER der Wunsch nach Rehabilitation im Vordergrund steht. Bei psychologisierenden Diagnosen / Interpretationen („Du reagierst so aufgrund deiner Vergangenheit“) wird zudem die Begleitbotschaft mitgesendet, über ALTER genau bescheid zu wissen. Das führt zu Ablehnung, unabhängig, ob die Aussage zutraf oder nicht. 

 

 

2.4 Nachrichten und Botschaften

Nachricht: Gesamtheit der sprachlichen und nichtsprachlichen (nonverbalen) Anteile

Botschaft: analytische Sub-Einheit, Element / Aspekt  / Ebene einer Nachricht

explizite Botschaft: ausdrücklich formulierter Nachrichtenaspekt

implizite Botschaft: nicht ausdrücklich formulierter Nachrichtenaspekt, Ausdruck „zwischen den Zeilen“ oder durch nonverbales Beiwerk

nonverbale Nachrichtenanteile: nicht-sprachliche Botschaften (Mimik, Gestik, Stimme, Betonung)

die Unmöglichkeit zu kommunizieren: Ein berühmter Ausspruch von Paul Watzlawik besagt, dass es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren. Jedes Verhalten hat den Charakter einer Mitteilung, so etwa auch das Nicht-Handeln: 

„Verhalten hat kein Gegenteil, oder um diese Tatsache noch simpler auszudrücken: Man kann sich nicht nicht verhalten. Wenn man also akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, daß man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht  kommunizieren kann. Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikationen reagieren und kommunizieren damit selbst.“ (Watzlawik, Beavin, Jackson: Menschliche Kommunikation, Bern 1969, S. 51).

 

 

2.4.1 Verbale und nonverbale Anteile: Kongruenz und Inkongruenz von Nachrichten

In jeder innerhalb einer Face-to-Face Situation übermittelten Nachricht koexistieren verbale und nonverbale Anteile (Telefon, SMS oder EMails sind Sonderfälle, bei denen gerade das Fehlen nonverbaler Anteile zu Kommunikationsproblemen und Hilfsmitteln wie etwa Emoticons führt). Dabei ist das Verhältnis zwischen verbalen und nonverbalen Anteilen von elementarer Wichtigkeit für das Verstehen einer Nachricht.   

Weil stets parallel auf diesen beiden Ebenen kommuniziert wird, qualifizieren beide Ebenen einander, geben sich also wechselseitig Interpretationshilfen. So wird nicht einfach nur „etwas gesagt“, sondern das Gesagte wird in aller Regel auch qualifiziert.

Kongruenz besteht dann, wenn der verbale und der nonverbale Ausdruck (bzw. der situative Kontext) sinnvoll übereinstimmen (vgl. Stichwort Indexikalität, S. 4).

Dies kann auf vier verschiedene Arten erfolgen:

  • Qualifizierung durch Kontext: Sagt etwa der Chef zum Angestellten „Das haben Sie aber fein gemacht“, während dieser gerade den PC vom Tisch gestoßen hat, qualifiziert der Kontext das Gesagte in einer inkongruenten Weise. Der Sachverhalt der Situation (nicht aber andere Nachrichten-Bestandteile) kommen zur Geltung.
  • Qualifizierung durch die Art der Formulierung: Die Art und Weise, wie etwas formuliert wird, qualifiziert den Inhalt. „Ich bin todkrank“ zu einer Erkältung gesagt, qualifiziert die Aussage in inkongruenter Weise und macht sie zur scherzhaften Übertreibung.
  • Qualifizierung durch Körperbewegungen (Gestik / Mimik): Etwa kann „ich mag dich“ von einer ablehnenden Körperhaltung begleitet sein; oder „mein Leben ist im Eimer“ mit einem Lächeln – beides qualifiziert die Aussagen in inkongruenter Weise. Stimmen Körperbewegungen und Aussage überein, besteht Kongruenz.
  • Qualifizierung durch Tonfall: „Ich bin sehr traurig“ mit übertriebener Betonung auf „sehr“ ergibt eine Inkongruenz, die die Aussage ironisiert. 

Inkongruente Nachrichten sorgen in der Regel für Unsicherheit beim Empfänger, indem eine Doppelbindung entsteht. Der Empfänger solcher Nachrichten erhält also zwei u.U. paradoxe Botschaften und gerät in hochgradige Unsicherheit bezüglich der gebotenen Reaktion.  So können inkongruente Nachrichten zu Krankheiten führen (insb. Schizophrenie), wenn der Empfänger vom Sender abhängig ist, nicht der Situation entfliehen kann und zu keiner Metakommunikation fähig ist (Kinder, Schutzbefohlene, Azubis). Die seelische Erkrankung wird so zu einem psychosomatischen Ausweg, um mit der Situation psychisch fertig zu werden.

Ursache inkongruenter Nachrichten: Unsicherheit auf Senderseite

    • Für den Sender besteht der taktische Vorteil, sich nicht festlegen zu müssen. Später besteht immer noch die Möglichkeit zu dementieren und zu behaupten, „es ja nicht so gemeint zu haben“.
    • Sehr häufig ist sich auch der Sender nicht im Klaren über seine eigenen Ziele, Wünsche oder Motivationen. Er hat mehrere inneren Zustände, die parallel wirken.  Sind die inneren Zustände noch unsortiert oder ungeklärt, hat noch keine Selbstklärung stattgefunden kann der Sender inkongruente Botschaften aussenden, ohne dass ihm das zwingend bewusst sein muss. Besonders im Verhältnis Eltern – Kinder ergeben sich hier vielfältige Ambivalenzen: Appell-Botschaft 1 „Ich möchte, dass Du mich weiterhin brauchst“ vs. Appell-Botschaft 2 „Ich möchte, dass du endlich selbständig wirst“ – hier seht die Erwachsenenpersönlichkeit der Eltern gegen deren Kindpersönlichkeit, die nicht verlassen werden will (kleiner Vorgriff auf die Transaktionsanalyse, FS). 

Gegenmittel: Selbstklärung für eine kongruente Kommunikation

  • Der Empfänger meldet dem Sender die inkongruente Botschaft zurück und veranlasst ihn, sich klarer über seine Intentionen zu werden. 
  • Selbstklärung funktioniert am besten im Dialog, darauf beruht auch die Gesprächstherapie. Wichtig ist dabei, dass der Sender die Selbstklärung auch will. 
  • Gestalttherapie: Sender führt eine inneren Dialog auf zwei Stühlen. Er setzt sich abwechselnd auf den einen (stellvertretend für die reife Erwachsenenpersönlichkeit), dann den anderen Stuhl (stellvertretend für das Kindheits-Ich). 

 

2.5 Die Bestandteile einer Nachricht

Das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun unterteilt eine Nachricht in die vier Aspekte / Seiten / Ebenen / Botschaften Sachinhalt (SI), Selbstoffenbarung (SO), Beziehung (BEZ) und Appell (APP).  Diese Modellkategorien sind analytisch nicht streng disjunkt (getrennt), sondern Elemente der einen Kategorie können gleichzeitig auch einer anderen Kategorie angehören (so geht  z.B. mit BEZ-Botschaften auch eine Selbstoffenbarung einher).  

Auch hier wird kommunikationstheoretisch von einem grundlegenden Sender-Empfänger-Modell ausgegangen: Der Sender verschlüsselt seine Nachricht in erkennbare Zeichen, die der Empfänger seinerseits zu entschlüsseln hat. Meistens, so Schulz von Thun, stimmen gesendete und empfangene Nachricht „leidlich“ überein. Auch lässt sich von beiden Partnern die Qualität der Verständigung überprüfen, indem der Empfänger an den Sender meldet, wie er die Nachricht entschlüsselt hat, und der Sender prüft, inwieweit das mit seiner verschlüsselten Nachricht übereinstimmt (Feedback).  

Sachinhalt (worüber wird informiert?) (Abkürzung im Folgenden: SI): 

  • Gehalt an reinen Sachinformationen
  • weitere Aspekte: a) Sachlichkeit (erfolgreiche Verständigung auf auf SI-Seite ohne störende Einflüsse von den übrigen Seiten), b) Verständlichkeit, c) Getrenntheit von Sach- und Beziehungsebene, die Frage nach dem gemeinsamen Thema  
  • Kommunikationspsychologische Fragestellung: Wie lassen sich Sachverhalte klar und deutlich darstellen?

Selbstoffenbarung (was tue ich von mir kund?) (Abkürzung im Folgenden: SO) :

  • Informationen über die Person des Senders
  • Schließt gewollte Selbstdarstellung und unfreiwillige Selbstenthüllung ein
  • ist Quelle vieler Störungen (z.B. Selbstoffenbarungsangst als Vorwegnahme negativer Beurteilungen durch andere)
  • enthält Ich-Botschaften
  • Kommunikationspsychologische Fragestellung: Was kann gegen SO-Angst als Ursache psychischer Erkrankungen, unerfülltem Leben oder auch unbefriedigender Ergebnisse zielorientierter Teamarbeit getan werden? Wie lässt sich eine gesunde Authentizität (Idealverhältnis zwischen innerer Verfassung und SO) erreichen? 

Beziehung (was halte ich von Dir? Wie stehe ich zu Dir?) (Abkürzung im Folgenden: BEZ)

  • zeigt sich oft im Tonfall, der gewählten Formulierung, nonverbalen Begleitsignalen
  • der Empfänger zeigt für diesen Aspekt oft eine besondere Sensibilität, fühlt sich in besonderer Weise be- oder misshandelt 
  • Nachrichten senden heißt immer, eine bestimmte Art der Beziehung zum Empfänger aufzubauen
  • ist streng genommen Teil der Selbstoffenbarung, aber: der Empfänger einer SO-Botschaft ist nicht selbst betroffener Diagnostiker („Was sagt mir die Äußerung über ALTER aus?“), während der Empfänger einer BEZ-Botschaft persönlich betroffen ist („So  also steht ALTER zu mir…“)
  • Auf Beziehungsseite gibt es zwei Arten von Botschaften: 1. Was hält der Sender vom Empfänger, 2.  Wie sieht der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger („so stehen wir zueinander“)
  • damit verbunden sind häufig Kämpfe um die Beziehungsdefinition
  • der BEZ-Aspekt enthält Du- und Wir-Botschaften
  • BEZ-Botschaften werden selten bewusst und ausdrücklich definiert (Watzlawik): je spontaner und gesunder eine Beziehung ist, desto mehr rückt ihre Definition in den Hintergrund, während bei problematischen Beziehung oft um ihre Definition gerungen wird und der SI an Bedeutung verliert
  • im Verhältnis zur SI stellt der Beziehungsanteil gewissermaßen Metainformationen bereit, die angeben, wie der Sachinhalt (Daten) zu verstehen ist (vgl. Informatik: Metainfos als höherer logischer Datentypus) 
  • langfristig gesehen, haben BEZ-Botschaften einen wichtigen Einfluss auf das Selbstkonzept des Empfängers, da sie ihm Informationen liefern, wie er von anderen gesehen wird
  • Kommunikationspsychologische Fragestellung: Wie behandele ich meine Mitmenschen und fördere ihre Stärken und Persönlichkeit (z.B. Pädagogik, Arbeitspsychologie)? Wie wird die Entwicklung von Persönlichkeiten beeinflusst?

Appell (wozu will ich dich veranlassen?) (Abkürzung im Folgenden: APP)

  • Einflussnahme auf den Empfänger, offen oder verdeckt (Manipulation)
  • werden Sach-, Selbstoffenbarungs- und Beziehungsseite auf Wirkungsverbesserung der Appellseite ausgerichtet, spricht man von Funktionalisierung 
  • der Appellaspekt ist vom Beziehungsaspekt zu unterscheiden, denn mit dem gleichem Appell können unterschiedliche Beziehungsbotschaften verbunden sein
  • Kommunikationspsychologische Fragestellung: Wie wirken sich Einfluss und Manipulation in Werbung, Propaganda, Erziehung, Betrieb, Arbeitsteam etc. auf die Persönlichkeit aus? Und in einer eher funktionalisierten und nicht-humanistisch-psychologischen Manier: Wie leite ich meinen Gegenüber / Mitarbeiter / Kollegen / Azubi an, etwas zu tun? 

 

2.6 Die „vier Ohren“ des Empfängers

Auch der Empfänger „hört“ die Nachrichtenaspekte des Senders in einer für ihn typischen Weise heraus. 

  • er versucht, den Sachinhalt zu verstehen („worum geht es hier?“)
  • er versucht, die SO-Botschaft zu deuten (Personaldiagnose: „was ist das für einer?“, „was ist mit ihm los?“)
  • er ist durch die BEZ-Botschaft persönlich betroffen („wie steht er zu mir?“ „wen glaubt er, vor sich zu haben?“)
  • er versucht, den Appell zu deuten („was will er von mir?“ „wozu will er mich bringen?“)

Der Verlauf des Gesprächs hängt wesentlich davon ab, welchem Aspekt der Empfänger welches Gewicht beimisst. Dabei hat der Empfänger die „freie Auswahl“, auf welche Seite der Nachricht er reagieren möchte.

Bsp.: Angestellter zum Chef: „Herr Müller ist gerade nicht da“

Chef reagiert auf SI: fragt nach, wo er ist, verlangt weitere Sachinfos

Chef reagiert auf SO: „und Sie sind jetzt sauer deshalb?“

Chef reagiert auf BEZ: „danke, dass sie mir vertrauen und mich informieren“

Chef reagiert auf APP: „und ich soll ihnen jetzt eine Aushilfe besorgen?“

Mann zu Frau: „wir könnten auch mal eine neue Spüle gebrauchen“

Frau isoliert imaginären APP: „ich kann auch nicht mehr als putzen“

           APP Ohr kann Folge eines schlechten Selbstbildes sein (durch BEZ-Botschaften 

aktuell und früher)

Störungen entstehen dann, wenn der Empfänger eine Seite überbetont, der der Sender weniger Gewicht beigemessen hat. Ebenso, wenn der Empfänger nur einen Aspekt herausfiltert, die anderen aber nicht berücksichtigt. 

 

 

2.6.1 Überbetonung des Sachaspekts  

Ist man geneigt, den SI-Aspekt der Nachricht zu isolieren, treten Störungen auf, wenn das Problem eher auf der zwischenmenschlichen (BEZ-) Seite liegt. 

Bsp.: Mutter will Wohnung der erwachsenen Tochter putzen, die aber ablehnt, weil alles schon sauber ist (SI-Aspekt). Mutter insistiert, es kommt zum Konflikt, der darin wurzelt, dass Mutter auf BEZ noch Anteil am (häuslichen) Leben der Tochter haben möchte. Typischer Weise endet eine solche Konstellation damit, dass ein Beziehungskonflikt auf der Sachebene ausgetragen wird, man also sehr emotional über die vermeintliche oder reale Dringlichkeit des Hausputzes diskutiert, innerpsychisch aber eine konfligierende Beziehungsdefinition ausficht.   

  • Es kommt also zu einer Verschärfung, wenn sich der Widerstand der Tochter auf zwar auf den BEZ-Anteil richtet, sie jedoch auf die SI reagiert. Der Konflikt wird somit auf der falschen Ebene ausgetragen, was einer Lösung abträglich ist.

 

 

2.6.2 Überbetonung des Beziehungsaspekts 

Überbetont der Empfänger die BEZ-Aspekte der Nachricht, werden in viele beziehungsneutrale Nachrichten oder Handlungen Stellungnahmen zur eignen Person hineininterpretiert. Man fühlt sich schnell beleidigt, angegriffen, nimmt alles persönlich, bezieht alles auf sich. 

Auch wird gerne auf die BEZ-Seite ausgewichen, wenn einem Konflikt auf Sachseite aus dem Weg gegangen werden soll. 

Bsp.: Vorgesetzter lässt Azubi mal wieder Ablage machen. Azubi protestiert „schon wieder diesen Kram machen“; Chef, Hört BEZ-Seite,  „das wird gemacht, wie ich sage“, geht damit aber der sachlichen Auseinandersetzung aus dem Weg, die lauten müsste: „gewiss, das haben Sie schon die ganze Woche gemacht und eigentlich sollten Sie mal Einblick in die Buchungsvorgänge bekommen…“

 

 

2.6.3 Überbetonung des Selbstoffenbarungsaspekts

Während die Überbetonung des BEZ-Aspektes zu Konflikten führen kann, ist ein ausgereiftes SO-Ohr zuweilen nützlich für der Frage „Was sagt mir diese Nachricht über mein Gegenüber ?“.

Selbst explizite BEZ-Botschaften können auf diese Weise verarbeitet werden, indem auf die inneren Vorgänge des anderen geschlossen wird. 

Die Fokussierung auf SO-Anteile kann zudem helfen, den Mitmenschen besser zu verstehen, sich mehr auf ihn einlassen und ihm seine Gefühle zugestehen zu können. So ist der Empfänger weniger mit der eigenen Rehabilitation beschäftigt und kann dem Sender besser zuhören. Man liefert sich zudem nicht mehr den Urteilen der anderen aus. 

 

2.6.3.1 Problem: Immunisierung durch den Diagnose-Fokus

Die Überfokussierung auf SO-Anteile (z.B. „Psychologisieren“) erspart dem Empfänger einer Nachricht jegliche Betroffenheit. Er nimmt den Sender nicht mehr als Partner wahr, sondern würdigt ihn zum Diagnoseobjekt herab.

 

2.6.3.2 Chancen der SO-Betonung: das aktive Zuhören

  • wichtige Kommunikationsfähigkeit für Gesprächstherapeuten / Erzieher
  • die SO-Aspekte der Nachricht des Gegenübers werden betont, jedoch nicht entlarvend oder diagnostizierend eingesetzt (nicht in der Form: „aha, so einer bist du also“)
  • es geht um das Bemühen, sich nicht-wertend in die Gefühls- und Gedankenwelt des anderen einzufühlen
  • Sachaussagen / verborgene Gefühlsinhalte werden vom Therapeuten einfühlend entdeckt und rückübersetzt
  • Grundeinstellung: Aufdeckung der hinter der SI-Seite verborgenen SO-Anteile, die dem SE rückgemeldet werden, damit dieser sie vor Augen hat und sich mit ihnen beschäftigen kann. Dadurch kommt er zu einem besseren Verständnis seiner selbst. 

Aktives Zuhören nach Carl Rogers

  • der Gesprächspartner zeigt eine gefühlsbetonte Reaktion auf die Botschaft eines Senders
  • die Begegnung im Menschlichen: Einbeziehung des Nonverbalen, gegenseitiges prinzipielles Wohlwollen, Einbezug des Emotionalen  
  • EAA: Emphatische Grundhaltung, Authentisches Auftreten, Akzeptanz des anderen
  • zuhören heißt nicht, alles Gesagte automatisch gutzuheißen
  • bei Verständnisproblemen soll nachgefragt werden
  • die Gefühle des anderen sollen ebenso beachtet werden, wie eigene Gefühle

 

2.6.3.3 SO- vs. BEZ-Charakter einer Nachricht

Häufig sind sich Sender und Empfänger nicht darüber klar, ob der SO- oder BEZ-Charakter einer Nachricht überwiegt. 

Bsp.: Nach einem abendlichen Streit geht Ehemann morgens ins Arbeitszimmer, während Frau noch schläft. Als diese wach wird, kommt sie nach und schimpft „was glaubst du, wie ich mich fühle?“ Hier wurde der vermeintliche BEZ-Charakter der Handlung (sich ins Arbeitszimmer setzen) überbetont. 

  • Gewicht auf SO-Seite: „er ist noch sauer wegen gestern und lenkt sich am PC ab“ (Fokus: was ist mit ihm los?)
  • Gewicht auf BEZ-Seite: „er mag mich nicht mehr und will daher alleine sein, unsere Ehe geht in die Binsen“  (Fokus: wie steht er zu mir / wie stehen wir zueinander?)   

 

2.6.4. Überbetonung des  Appellaspekts

Wenn Nachrichten überwiegend auf den APP-Anteil abgetastet werden, wird versucht, es allen recht zu machen, alle (auch unausgesprochenen) Erwartungen zu erfüllen. Eigene Wünsche treten dabei in den Hintergrund.

Bsp: „mir gehts nicht gut“ – „oh, ich hole dir Tabletten“

        „es regnet“  – „gut, dann gehen wir nicht in den Garten“

 

2.6.4.1 Finale (auf einen Zweck hin gerichtete) Betrachtungsweise

Manchem Verhalten liegt eine unbewusste / nicht offensichtliche Appellseite zugrunde, die den Empfänger manipulieren soll. Therapeutisch lassen sich hier Fragen stellen wie „wozu dient dir das, was willst du damit erreichen“. Auch kann das Verhalten der Umwelt betrachtet werden, die durch ständige Bestätigung dem unbewusstem Appell nachgegeben und ihn bekräftigt hat.  In der Betonung auf solche APP-Anteile kann eine Manipulation des Empfängers verhindert werden. 

 

2.6.4.2 Funktionalitätsverdacht

Wir vom Empfänger jeder Nachricht / Verhaltensweise eine heimliche, berechnende Absicht unterstellt wird, besteht der Verdacht der Funktionalisierung  (Ausrichtung der SE SI-, SO- und BEZ-Anteile auf APP-Wirkung.

 

3. Die Nachricht als Produkt des Empfängers

Zum Kommunizieren muss der Sender seine Gedanken, Absichten, Kenntnisse, also einen Teil seiner psychischen Prozesse in wahrnehmbare Zeichen übersetzen, er muss sie kodieren.

Die Bedeutungen, die der Empfänger in die kodierten Anteile des inneren Sender-Zustands hineinlegt, folgen in ihrer Formulierung allerdings völlig anderen Gesetzen.

Beim Dekodieren verleiht der Empfänger der gesendeten Nachricht eine Bedeutung und ist dabei im wesentlichen auf sich selbst gestellt (seine Erwartungen, Befürchtungen, Kenntnisse etc.)

Dies ist eine Quelle von verdeckten Missverständnissen, etwa der Überbetonung eines der vier Aspekte. Wird keine Metakommunikation vorgenommen, kann die Beziehung aus dem Verborgenen gestört werden, weil die Nachrichten eine nicht intendierte Wirkung entfalten. Missverständnisse sind beim Kommunizieren allerdings an der Tagesordnung, sie liegen sozusagen in der „Natur der Sache“. Von daher ist das Recht nie eindeutig auf der Seite einer der Kommunikationspartner, vielmehr stimmt das, was der eine gesagt und der andere verstanden hat. 

 

3.1 Quellen für Empfangsfehler

  • Selbstkonzept des Empfängers: Bei der Betonung des BEZ-Aspekts gibt es das Phänomen, dass das eigene Selbstbild als Deutungsschlüssel einer Nachricht herangezogen wird. Jemand mit negativem Selbstbild wird selbst harmlose Botschaften so auslegen, dass sein (negatives) Selbstbild bestätigt wird. So verschafft ein negatives Selbstbild seinem Träger immer neue negative Erfahrungen, die dieses bestätigen und stabilisieren. 
  • Bild, das der Empfänger vom Sender hat: Wer glaubt, einen anderen gut zu kennen, findet es leicht, eine Nachricht entsprechend zu deuten. Wenn aber das Bild vom anderen auf einer schmalen Informationsbasis beruht, entsteht eine Fehlerquelle. Schubladendenken oder Rollenzuweisungen aufgrund nur weniger Merkmale lassen oft ein völlig falsches Bild vom Gegenüber entstehen. 

Bsp.: Chef fragt Mitarbeiter aus persönlichem Interesse nach dessen Hobbys. MA: „oh, ich gucke höchstens TV, dann gehe ich aber schnell ins Bett, sonst bin ich müde für den Job..“ In Wirklichkeit ist der Mitarbeiter ein aktiver MTB-Biker, der sein Hobby in der Annahme verleugnet, der Chef könnte darin eine Gefährdung der Arbeitsleistung sehen.

  • Korrelierte Botschaften: Eine Botschaft wird auf einer Sachinformationsseite korrekt empfangen, jedoch wird auf einer anderen Nachrichtenseite ein weitere Botschaft parallel mitgehört. Bsp.: Frau: „Ich habe Schmerzen“ – Ehemann: „Na gut, dann gehe ich eben nicht zur Probe“ die Frau wollte lediglich die Info über ihre Befindlichkeit kundtun, während der Mann parallel den Appell wahrnahm, nicht zur Bandprobe zu marschieren An Gefühlsäußerungen ist oft ein Appell gekoppelt, der „mitgehört“ wird, auch wenn er nicht gemeint ist. Auch werden an von anderen ausgelöste negative Gefühle (auf SO-Seite) Täterschafts-Zuweisungen auf BEZ-Seite vorgenommen. So wird diese Zuweisung oft auch dann mitgehört, wenn sie nicht gemeint ist („Ich war traurig, dass Du nicht da warst“ – als bloße Tatsache, die als Täterschaftszuweisung die überflüssige Antwort zur Folge hat „ich kann ja nicht immer Zeit haben“). Ebenso sind mit Aufforderungen häufig Versäumniszuweisungen verbunden, die nicht zwangsläufig gemeint sein müssen. Daher ist das Senden reiner Appell-Botschaften oft schwer, weil der Empfänger wegen vermeintlicher BEZ-Botschaften gereizt reagiert. 

3.2 Die innere Reaktion des Empfängers auf eine Nachricht

Die innere Reaktion des Empfängers auf eine Nachricht ist ein Wechselprodukt zwischen der gesendeten Nachricht und den psychischen Zuständen des Empfängers. Hier sind im wesentlichen zwei Einflüsse zu benennen: 

  • Indoktrinierter Irrglauben: Irrationale Überzeugungen, die die gefühlsmäßigen Äußerungen auf das bestimmen, was uns widerfährt. Etwa: Es ist für Erwachsene notwendig, von fast allen Menschen im Umfeld geliebt und anerkannt zu werden; Männer dürfen keine Emotionen zeigen; wenn ich keinen beruflichen Erfolg habe, bin ich ein Versager.  
  • Verborgene Schlüsselreize: Eine Reaktion auf eine Nachricht kann nicht nur für den Empfänger sondern auch den Sender unverständlich sein. Ursache können verborgene Schlüsselreize sein, die zu heftigen und scheinbar irrationalen Reaktionen führen können. (Bsp.: Falscher „Blick“ bei gewalttätigen Jugendlichen; Heftige Reaktion auf „Du bist ja wie deine Mutter“, wobei Schlüsselreiz auf BEZ-Seite liegt, Partnerin und ihre Mutter vermeintlich richtig einschätzen zu können).

 

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