Radreise: Kreuz und quer durch Ostpolen

[Juni 2017, 21 Tage, ca. 440 km] Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Polen ganz im Osten am schönsten ist. Also haben wir uns in die Bahn gesetzt und sind von Lübeck über Stettin bis Białystok gegondelt. Von dort aus ging es mit dem Fahrrad weiter nach Süden. Als grobe Richtschnüre dienten die Grenzen zu Weißrussland und zur Ukraine. Stationen waren etwa Bielsk Podlaskie, das malerische Städtchen Koden, der Badeort Okuninka (mit Gedenkstätte Sobibor), Helm, Lublin (mit Gedenkstätte Majdanek), Rzeszow und schließlich Krakau mit Abstecher nach Oswiecim (Auschwitz).

Eine beeindruckende Reise mit Rad und Bahn durch die Woiwodschaften Podlaskie (Podlachien), Lubelskie (Lublin) und Małopolskie (Kleinpolen).

Prolog

Dies sollte die bisher unentschlossenste Radreise unserer Karriere sein. Eigentlich hatten wir es uns in den Sommerferien im Garten gemütlich gemacht. Doch ein ganzes Jahr nur zuhause bleiben? Ohne eine größere Radreise in den Osten zu unternehmen? Unmöglich!

Also packten wir schnell unsere Sachen und fuhren mit dem Zug nach Stettin, was von Lübeck aus kein Problem ist. Dank des Mecklenburg-Vorpommern-Tickets sind die knapp 300 Bahnkilometern nicht einmal besonders teuer. In Stettin übernachteten wir, dann ging es in einer fast 12stündigen Zugfahrt quer durch Polen nach Białystok. Nach zwei obligatorischen Mußetagen in der schönen Hauptstadt Podlachiens begann die eigentliche Radreise: Spontan und ohne Vorplanung radelten wir einfach nach Süden, nur eine Handvoll grober Ziele im Kopf.

Weil diese Radreise so ungeplant und fast schon unmotiviert war, kümmerten wir uns auch nur halbherzig um die Ausrüstung, So kam es, dass Claudias Laufräder nur auf alten und maroden Reifen rollten. Mit dem Ergebnis, dass wir fast jeden zweiten Tag einen Plattfuß hatten.

Auch blieb die sperrige Spiegelreflexkamera zu Hause. Fotografiert wurde mit einer handlichen Pocketkamera, oft sogar während des Fahrens. Im Nachhinein steht diese Radreise – so ungeplant, spontan und halbherzig sie war – den anderen an Intensität in nichts nach.

 

Tag 1: Lübeck mit der Bahn nach Stettin (13,9 km)

Am Lübecker Hauptbahnhof

Die Fahrt mit dem gemütlichen Zuckelzug nach Stettin ist Routine. Ganze vier Stunden dauert die Passage, bei der an fast jedem kleinen Kaff gehalten wird. Es geht über Bad Kleinen, Güstrow, Stavenhagen, Neubrandenburg und Pasewalk bis in die Hauptstadt Westpommerns. Dort findet gerade die Regatta der „großen Segelschiffe“ statt. Schön für Szczecin, schlecht für uns. Die Hotelpreise betragen ein Vielfaches des Üblichen, so dass wir weit in die Außenbezirke ausweichen müssen. So nächtigen wir weit außerhalb des Trubels in einer katholischen Herberge nahe einer Klinik. Zum Glück gibt es einen kleinen Laden (Sklep) in unmittelbarer Nähe.

 

Am Stettiner Bahnhof

Regatta in Stettin

 

Tag 2: Fahrt mit der polnischen Bahn PKP nach Białystok

Eine Fahrt wie im Rausch. Morgens verfrachten wir Räder und Gepäck in den Zug. Die zweite Klasse ist viel zu eng für die zwölf Stunden Reise, also upgraden wir im Zug auf die erste Klasse. Trotzdem kosten die Tickets für die Durchquerung Polens von West nach Ost umgerechnet nur 50 Euro. Am Abend fährt der Zug in Białystok ein. Die paar Kilometer bis zum Hotel kennen wir bereits, sie rollen sich wie von alleine durch die laue Sommerluft.

Tag 3 – 4: Müßiggang in Białystok (9,91 km)

Białystok, Blick zur Rochuskirche

Zwei Tage Müßiggang in Białystok (297.000 EW) haben wir uns verdient. Die Stadt hat ein angenehm-entspanntes Flair und lädt geradezu zum Bummeln und Flanieren ein. Vorteilhaft ist das Fehlen hauptamtlicher Sehenswürdigkeiten. So können wir uns durch die Tage treiben lassen, ohne das Gefühl sträflicher Ignoranz zu erleiden. Wir haben Glück, denn der Hochsommer ist eingezogen. Die Temperaturen erreichen locker die 30-Grad-Marke, so dass das Leben vornehmlich draußen stattfindet und pulsiert. In der Fußgängerzone hat man dicke Feuerwehrschläuche ausgelegt, aus denen meterhohe Wassernebel sprühen – Abkühlung für Groß und Klein. Unser Programm besteht hauptsächlich aus dem Flanieren durch die Fußgängerzone. Auch verbringen wir so mache schöne Stunde auf unserer Sitzbank am Teich im Park des  des Barnicki-Palastes. Dort lassen sich bestens Enten, Tauben und Hochzeitspaare beobachten. Die herrlichen Parkanlagen sind wohl eine beliebte Kulisse für Hochzeitsfotos.

 

Białystok, Abkühlung auf Marktplatz

Unser Hotel

 

Tag 5: Białystok – Bielsk Podlaski (53,80 km)

Radweg am Ortsausgang Bialystok

Fünf Tage Radreise und dabei weniger geradelt, an einem normalen Tag in Lübeck. Klar, dass dieser Zustand beendet und in die Pedale getreten werden muss. Heute ist es also soweit, unsere erste Etappe führt nach Bielsk Podlaski, knapp 50 Kilometer weiter im Süden. Das Wetter ist herrlich heiß, doch vor dem Vergnügen kommt erst einmal die Arbeit. Und die besteht daraus, auf dem richtigen Weg aus der Großstadt heraus zu finden. Zum Glück beginnt unsere Landstraße gleich am Barnicki-Palast und hört hier auf den Namen Adam Mickiewicza, also des berühmten polnischen Nationaldichters („Pan Tadeusz“).

Kurz hinter seinem offensichtlichen Ende, verwöhnt uns Białystok mit einem mustergültigen Radweg entlang der Ausfallstraße. Da wir uns aber für eine kleine Ausfallstraße entschieden haben, hält sich der Verkehr in sehr erträglichen Grenzen und nimmt mit zunehmendem Abstand zur Stadt immer weiter ab. Irgendwann löst sich dann auch der Radweg auf und wir dürfen auf die Fahrbahn. Diese ist außerhalb der Ortschaften zweigeteilt. Eine Hälfte ist asphaltiert, die andere loser Schotter. Für Autos kein Problem, für uns Reiseradler schon eher. Die polnischen Autofahrer nehmen es gelassen, wenn wir nicht auf die Dreckhälfte ausweichen.

Landstraße

Die Temperatur steigt unaufhörlich. Unser Tacho-Thermometer zeigt Werte um die 35 Grad an, die Luft flirrt über dem Asphalt. In Wojszki machen wir eine Pause. Das malerische Dörfchen besteht aus bunten Holzhäusern, wie sie für Ostpolen typisch sind. Im Sklep versorgen wir uns mit Getränken, lassen uns auf einer Bank nieder und genießen die Kulisse.

Wir umgehen die verkehrsreiche Hauptstraße 19, nehmen lieber einen Umweg über Plosky und Knorozy in Kauf. Bei gleißender Sonne rollen wir am späten Nachmittag in Bielsk Podlaski (27.000EW) ein. Unser erster Stopp ist der erste Skalpe hinter dem Ortsschild, denn wir haben unsäglichen Durst. Die Kleinstadt wirkt auf recht unspektakulär. Außer einer orthodoxen Kirche, den hölzernen Wohnhäuschen und nüchternen Funktionsbauten aus sozialistischer Zeit gibt es wenig zu sehen. Hier hat Claudia ihren ersten Platten am Fahrrad – den ersten von vielen weiteren…

 

Wojszki

Wasser, Wasser…

Bier, Bier…

Bielsk Podlaski

 

Tag 6: Bielsk Podlaski – Drohicyn (62,34 Km)

Wie es scheint, bleibt uns der Hochsommer auch heute erhalten. Für eine Kleinstadt herrscht am südlichen Ortsausgang reichlich Verkehr. An einer Tankstelle pumpen wir den geflickten Schlauch auf Reisedruck auf, dann radeln wir auf erträglichen Landstraßen südwärts. So radeln wir recht stressfrei bis Boćki, wo wir uns in einem Supermarkt versorgen und eine kleine Pause machen. Die nächsten fünfzehn Kilometer müssen wir leider mit der verkehrsreichen Landesstraße 19 Vorlieb nehmen.

Rast bei Drochlin

Das Radeln auf den kleinen Landsträßchen macht trotz der oft maroden Beläge jede Menge Spaß. Lieber langsamer vorankommen und viel von der Umgebung sehen, als schneller auf verkehrsreichen Straßen rasen und vor lauter Vorsicht nur die Autos im Blick haben. Und tatsächlich, auf der manchmal schnurgeraden Straße durch Zaminowo, Grodzisk, Drochlin und Smarklice begegnet uns nur selten ein Auto.

Von Drohicyn sehen wir leider nicht viel, weil unser Hotel etwas außerhalb der Stadt am Ufer des Bug liegt. So rollen wir in das Städtchen hinein und dann knappe zwei Kilometer hinunter zum Bug. Heute nächtigen wir mal in einem sehr guten Hotel, dem Hotel Drohicki. Leider liegen zwischen unserem Balkon und dem Bug ein hässlicher Parkplatz und die Landesstraße 19.

Hotel Drohicki, Blick zum Bug

 

Tag 7: Drohicyn – Biała Podlaska (64,41 Km)

Es geht zur Sache…

Mit dem schönen Wetter ist es leider vorbei. Wir starten an einem regnerischen Sonntagmorgen und unsere erste Teiletappe besteht aus knapp zwanzig Kilometern auf der Landesstraße 2, die als Europastraße 30 eine Transitstrecke von und nach Weißrussland darstellt. Zum Glück ist nicht viel los, streckenweise können wir sogar nebeneinander radeln. Auf Höhe Siemiatycze biegen wir nach Süden auf die Landesstraße 19 ab und überqueren den idyllischen Fluß Bug. Der Verkehr nimmt zu, ebenso auch der Anstieg unserer Straße. Spaß macht das nicht, im Regen und recht dichten Verkehr bergan zu strampeln.

Lubelskie

In Sarnaki geht es auf der ruhigeren Woiwodschaftsstraße 811 nach Südosten. Wir verlassen Podlachien und überschreiten die Grenze nach Lubelskie. Hier wirken die Ortschaften nicht mehr ganz so ostpolnisch-pittoresk, wie im weißrussisch beeinflussten Podlachien. Je mehr wir uns der Provinzhauptstadt Biała Podlaska nähern, desto stärker wird der Verkehr – auch der Osten Polens wurde schon längst vom Autovirus befallen.

Biała Podlaska (57.000 EW) liegt direkt an der Transitstraße nach Weißrussland und liegt etwa vierzig Kilometer westlich von Brest. Die Stadt wirkt trist und im Regen fast schon abweisend. Unser Hotel liegt in einem klobigen Betonklotz, ist aber günstig und durchaus angenehm. Auch hier findet sich ein sicheres Plätzchen für unsere Fahrräder im Hotel.

 

 

Tag 8: Biała Podlaska – Koden (52,98 Km)

Koden

Auf der Etappe nach Koden begleitet uns endlich wieder die Sonne. Die Straßen sind angenehm verkehrsarm, so dass wir am späten Nachmittag entspannt unser Ziel erreichen. Koden ist ein gemütliches Städtchen, das am Bug liegt, der die Grenze zu Weißrussland bildet. Am Abend mischen wir uns unter das Volk, denn es findet gerade irgendein religiöses Fest statt. Überhaupt scheint Koden so etwas wie Wallfahrtsort zu sein. Es gibt eine Pilgerherberge und reichlich Kirchen. Wir nutzen die Freiluftmesse als Kulisse für unser Feierabendbier.

 

 

 

 

 

Tag 9: Koden – Okuninka (55,98 Km)

Sławatyce

Der Green Velo ist ein polnischer Fernradweg, der den Südosten des Landes mit Nordosten verbindet und dabei durch allerlei Naturlandschaften führt. Allerdings gibt es auch auf dem Green Velo weniger grüne Abschnitte. Und dazu gehört die Woiwodschaftsstraße 816, die von Koden aus nach Süden führt. Es ist ungemütlich vor lauter Autos, das Radeln macht hier keinen Spaß. In Sławatyce machen wir eine Rast und gucken über den Bug hinüber nach Weißrussland.

Bis Włodawa genießen wir einen straßenbegleitenden Radweg. Die Landschaft dagegen ist eintönig und nichtssagend. Nach 50 Kilometern erreichen wir Okuninka, einem trubeligen Ferienörtchen mit den für Polen typischen bunten und lauten Bespaßungseinrichtungen. Zum Glück liegt unser Hotel auf der anderen – ruhigen – Seite des Jezioro Białe. 

 

 

Blick nach Weißrussland

 

Tag 10: Sobibor und Vernichtungslager Sobibor (44,14 Km)

Inmitten der weitläufigen Wälder Ostpolens befindet sich das ehemalige Vernichtungslager Sobibor, in dem schätzungsweise 180.000 Menschen ermordet worden sind. Die Anlage liegt etwa fünf Kilometer  vom gleichnamigen Dorf entfernt, das mit seiner Beschaulichkeit einen frappierenden Kontrast zu den monströsen Verbrechen steht, die im Vernichtungslager stattgefunden haben.

Wegen größerer Umbauarbeiten ist die Gedenkstätte leider geschlossen. Weil aber kein Mensch weit und breit zu sehen und die Absperrung sehr durchlässig ist, schauen wir uns trotzdem auf der Anlage um.

Naturidyll

Eingang

Am Bug, Blick in die Ukraine

 

 

Tag 11: Okuninka -Chełm (46,2 Km)

Eine langweilige Arbeitsetappe, immer entlang der 812. Immerhin ist es hochsommerlich warm, bis knapp an die 40°C-Marke. Chełm ist mit 65.000 Einwohnern ein Regionalzentrum in der Nähe der ukrainischen Grenze. Passend zu seinem Namen („Hügel“) gibt es einige steile Straßen sowie ein Rathaus mit sozialistischem Charme.

 

Tag 12: Chełm – Lublin (14,2 Km)

Weil für unsere Fahrrad-Weiterreise zu interessanten Orten mit nur noch sehr große Straßen zur Verfügung stehen würden, nehmen wir für die Fahrt nach Lublin den Zug. Das ist in Polen günstig und unkompliziert.

Lublin (340.000 Einwohner) empfängt uns mit dunklen Wolken und Regen. Rund um den Bahnhof ist es trostlos, so dass wir erst einmal ein Bier zur Stimmungsaufhellung trinken. Das futuristische Stadion der Stadt liegt verloren zwischen altem und neuem Teil. Schnell stellen wir aber fest, dass Lublin eine wahre Perle ist. In der Altstadt wimmelt es geradezu von engen Gässchen und pittoresken Häusern.

Wir lassen uns treiben, genießen die romantische Kulisse. Passend dazu hat sich die Sonne wieder blicken lassen und erwärmt die Luft auf hochsommerliche Werte. Auf einem der großzügigen Radwege der Stadt hat man Berieselungsanlagen zur Erfrischung der Radfahrer aufgestellt.

 

 

 

Tag 13: Lublin (Konzentrationslager Majdanek; 16,4 Km)

Regen und Wind bilden heute eine passende Kulisse für den Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Majdanek. Besonders eindrucksvoll pfiff der Wind durch Schornstein und Mauerlücken des Krematoriums.

Tag 14: Lublin – Rzeszów (7,5 Km)

Eine Zugfahrt im Regen und eine Stadt, von der wir nicht allzu viel zu sehen bekommen. Wir besichtigen Rzeszów (187.000 Einwohner) in der nieseligen Abenddämmerung und verlaufen uns dabei hartnäckig. Sicher wäre in der südostpolnischen Stadt einiges zu entdecken gewesen…

 

Abfahrt in Lublin

Ankunft in Rzseszow

Abends in Rzeszów

 

Tag 15, 16: Rzeszów – Krakow (4,2 Km)

Und wieder geht es mit dem Zug weiter, die Fahrräder haben einstweilen Pause. Heute steht die Touristenhochburg Krakau auf dem Programm. Die Großstadt (765.000 Einwohner) empfängt uns gleich mit einer unangenehmen Überraschung: Das schöne alte Bahnhofsgebäude ist nur noch eine Kulisse, der eigentliche Bahnhof wurde in eine hässliche Shopping-Mall integriert und ist nicht besonders fahrradfreundlich.

Unsere Begeisterung über Krakau hält sich allerdings in Grenzen. Die Stadt ist stark vom Tourismus geprägt, hat auch ein paar schöne Ecken, Straßen und Plätze. Doch der Funken will nicht wirklich überspringen. In Lublin haben wir uns wohl gefühlt.

 

 

Tag 18: Krakow – Oświęcim (Auschwitz)

Die Fahrräder dürfen im Hotel in Krakau bleiben, während wir mit dem Uraltzug nach Auschwitz fahren. Dort bleiben wir zwei Tage. Genug Zeit für die Besichtigung des Stammlagers, Birkenau und der Stadt Oświęcim (40.000 Einwohner).

Besichtigung: Für Einzelpersonen ist die Besichtigung der Lager problemlos. Vor dem Stammlager steht befindet sich ein Stand, an dem Eintrittskarten verteilt werden. Diese sind kostenlos und dienen der Vermeidung von Überfüllung. Das Lager Birkenau lässt sich auch ohne Karten besichtigen. Für größere Gruppen sieht das allerdings anders aus.

Stammlager

 

 

Tag 19: Birkenau

 

 

 

Tag 20: Krakau

Den letzten Tag in Krakau verbringen wir biertrinkend auf dem Kleinen Marktplatz.

 

Tag 21: Krakau – Szczecin (Stettin)

Eine lange Zugfahrt durch halb Polen bringt uns zurück nach Stettin.

 

 

 

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