Radreise: Die polnische Ostseeküste im Herbst

[Ende Oktober 2016, 7 Tage, 310 Km] Die polnische Ostseeküste ist ein ideales Ziel für eine Radreise – egal zu welcher Jahreszeit. Im Sommer herrscht der Urlaubrsummel, im Herbst ist die Region ruhig und fast schon meditativ bis besinnlich. Hinzu kommt, dass man in Polen sehr wohl verstanden hat, wie wichtig der Fahrradtourismus ist. So gibt es jede Menge neue Radwege. Und dort, wo noch keine sind, wird fleißig dran gebaut.

Diese kurze Radreise führte von Świnoujście (Swinemünde) auf der Insel Usedom über Kołobrzeg (Kolberg), Darłowo (Stolpmünde) und Ustka (Stolpmünde) nach Słupsk (Stolp). Und sogar das Wetter hat mitgespielt – zumindest einigermaßen…

 

 

Bike the Baltic!

 

Etappe 1, Lübeck – Świnoujście (Swinemünde) – Międzyzdroje (Misdroy): 22,50 km

Świnoujście

Viermal müssen wir umsteigen, um nach Swinemünde zu kommen. Es hätte leichter gehen können, aber in Höhe Neubrandenburg lässt die Deutsche Bahn an ihren maroden Gleisen herumbasteln. Das Wetter ist herbstmäßig trübe, regnerisch und deprimierend. Ich habe außerdem fast alle Papiere zuhause vergessen – Ausweis, Krankenversicherungs- und Bahnkarte. Kurz nach Rostock schleichen Polizeibeamte durch den Zug und kontrollieren stichprobenartig. Mich zum Glück nicht.

In Swinemünde ist das Wetter auch nicht besser. Aber dafür haben wir endlich wieder polnischen Boden unter unseren Füßen und Laufrädern. Routiniert finden wir die Fähre über die Swina und verlassen Uznam (Usedom). Auf der Nachbarinsel Wolin geht es über recht große Landstraßen auf die größte von ihnen, die E65. Sie ist die einzige brauchbare Verbindung nach Międzyzdroje, hat aber einen sehr großzügigen Seitenstreifen für langsame Fahrzeuge und Fahrräder.

Im Hotel Polino will die Rezeptionistin auch meinen Ausweis sehen. Das ist völlig unüblich, bisher reichte immer nur der Ausweis eines Gastes. Ich darf trotzdem bleiben, werde mich aber für die folgenden Tage wie illegaler Einwanderer fühlen.

 

 

Hotel Polino, Międzyzdroje

Es geht zur Sache in Międzyzdroje

Etappe 2, Międzyzdroje (Misdroy) – Pobierowo (Poberow): 53,12 km

Es nieselt und wir arbeiten uns den Woliński Park Narodowy (Nationalpark Wolin) hinauf. Dieser umfasst ein urwüchsiges Waldgebiet, das die hier bis zu 95 Meter hohe Klippen überzieht. Zuerst geht es bergauf, dann wieder bergab. Über Warnowo und Domysłow radeln wir nach Kołczewo. Dort geht es auf der ungemütlichen Woiwodschaftsstraße 102 bis Międzywodzie (Heidebrink).

Bis Dzwinów haben wir nun einen Radweg, der uns allerdings mehr durchrüttelt als nützt. Wenigstens geht es den Autlern nebenan auch nicht besser. In Dzwinów haben wir wieder Festland unter den Rädern. Das eintönige Kaff zieht sich ewig in Länge. Stoisch bleiben wir auf der 102, die hier nicht allzu verkehrsreich ist. In der Hauptsaison wäre Radeln hier sicher selbstmörderisch.

Die Dzwina trennt Wolin vom Festland

Pobierowo (Poberow) ist wie ausgestorben. Es ist eines jener touristischen Seebäder, deren Bettenzahl ein Vielfaches der Einwohnerzahl beträgt. Jetzt in der Neben- oder besser Nichtsaison sind die Bürgersteige hochgeklappt, die Hotels und Pensionen verwaist und Läden an der Promenade verrammelt. Depressionen darf man nicht haben, will man hier im Herbst übernachten. Zum Glück haben der Einkaufsladen und unsere nette Pension geöffnet. Trotzdem, wir mussten intensiv suchen, um überhaupt so etwas wie den Ansatz einer Infrastruktur zu finden.

 

 

 

 

Brücke über die Dzwina

Im ausgestorbenen Pobierowo

 

Etappe 3, Pobierowo (Poberow) – Kołobrzeg (Kolberg): 70,88 km

Küste in Regal

Heute sieht das Wetter ein wenig versöhnlicher aus. Bei kühlen fünf Grad radeln wir weiter nach Osten. In Rewal statten wir der Steilküste und der bekannten Kirchenruine einen Besuch ab. Auch hier frisst sich die Ostsee schon seit Menschengedenken ins Land hinein und nimmt dabei auch keine Rücksicht auf Sakralbauten. Kein Wunder, sind ihre Götter doch Odin, Thor oder Freya. Ein Jahve hat hier nicht viel zu melden…

In Pogorzelica biegen wir wieder zur Woiwodschaftsstraße 102 ab, der wir bis Trzebiatów folgen müssen. Auch hier ist der Verkehr sehr erträglich, mal abgesehen von den obligatorischen Protzkarren-Hirnis. Der Turm der Marienkirche von Trzebiatów (Treptow an der Rega) ist mit seinen 90 Metern Höhe kilometerweit zu sehen. Ausgerechnet die Straße 109 nach Mrzeźyno ist eine Baustelle. Mit den Rädern kommen wir trotzdem durch, wobei uns die Baustelle den Verkehr vom Halse hält.

Kirchenruine in Rewal

In Dźwirzyno erhalten wir wieder einen gut ausgebauten Radweg, auf dem wir bequem bis Kołobrzeg radeln können. Man sieht, dass an vielen Orten die Fahrrad-Infrastruktur ausgebaut wird. Polen hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt auf den Fahrradtourismus. Kolberg ist das größte See- und Kurbad der Region. Hier herrscht immer Saison, weil viele der Kurhotels Sonderangebote für die kalte Jahreszeit anbieten. Trotzdem hält sich der Trubel in Grenzen. Die Senioren dämmern lieber im Warmen ihrem Ende entgegen.

 

 

 

 

Trzebiatów

Kołobrzeg

Kołobrzeg

 

Etappe 4, Kołobrzeg (Kolberg) – Darłowo (Rügenwalde): 81,73 km

Neuer Radweg nach Ustronie Morskie

Es ist paradiesisch. Von Kolberg bis Ustronie Morskie (Henkenhagen) kann man nun auf einem nagelneuen Radweg fahren. Man spürt, dass Radtouristen willkommen sind. Weiter geht′s durch Plesna und Gąski, dann sind wir in Sarbinowo (Sorenbohm). Sorenbohm soll vorerst das letzte sehenswete Seebad sein. In den Dörfern Mielenko und Mielno geht die Optik sukzessive den Bach hinunter, wobei der Jezioro Jamno (Jamno-See) die Grenze des Unschönen markiert. Das graue Mielno wächst schier endlos in die Nehrung zwischen Jamno-See und Ostsee hinein. Danach kommt Ödland, etwas Industrie und dann schließlich mit Łazy das andere Ende der Nehrung. Keine schöne Gegend.

Langsam schöner wird es ab Osieki. Der Kolonnenweg hinauf nach Rzepkowo macht uns munter, damit wir uns mit voller Aufmerksamkeit dem Schleichweg widmen können, der von Iwiłcino (Eventin) auf die Woiwodschaftsstraße 203 führt. Bis Dąbki (Neuwasser) lässt es sich auch prima radeln, da die 203 mit einem neuen Radweg ausgestattet wurde. Zwischen Dąbki und Darłowo wird die komplette Straße erneuert und natürlich auch mit einem Radweg versehen. Für uns bedeutet das nur Unannehmlichkeiten.

Protest gegen das geplante AKW in Gąski

Alle zwei Kilometer hat es die typisch polnischen Baustellen, an denen der Verkehr für jeweils eine Fahrtrichtung per Ampel abgesperrt wird. Die Grünphasen sind natürlich an das Tempo der Autos angepasst, so dass wir regelmäßig in den Gegenverkehr geraten. Irgendwann ignorieren wir die Baustellenampeln einfach, da sie uns eh nichts nützen. In der Abenddämmerung kommen wir nach einer langen Etappe endlich in Darłowo an, der Heimatstadt der Teewurst.

 

 

 

 

 

Auf nach Rzepkowo

Baustellen-Marathon vor Darłowo

Darłowo

 

Etappe 5, Darłowo (Rügenwalde) – Ustka (Stolpmünde): 53,12 km

Schuften bei Drozdowo

Aus Darłowo herauszukommen ist nervig. In der engen mittelalterlichen Kleinstadt wird der Verkehr abgebremst und reibt sich an allem, was ihn stört. Also auch an uns. Hinzu kommen einige kurze aber heftige Steigungen für die Extraportion Abgas in unseren Lungen. Die Lage entspannt sich auf der 203, die wir zur Sicherheit in Drozdowo nach Norden verlassen. Dort dürfen wir uns erst einmal einen langen Anstieg hinaufarbeiten, den wir in Barzowice wieder herunterbremsen können. In Rusinowo schlagen wir Ostkurs ein. Die Straße ist kaum befahren, so dass wir gut, sicher und schnell vorankommen. Zwei Kilometer hinter Złatkowo überfahren wir die Grenze zur Woiwodschaft Pomorskie (Pommern) mit der Hauptstadt Danzig. Bisher hatte für Westpommern (Zachodniopomorskie) Stettin (Szczecin) das Sagen.

Grenze zur Woiwodschaft Pommern

In Zaleskie müssen wir wieder rauf auf die Woiwodschaftsstraße 203, den direktesten Weg nach Ustka. Duninowo (Dünnow) ist das nächste Dorf, und es verfügt über einen schönen Einkaufsladen. Da es Zeit für eine Pause ist, besorgen wir dort Bier und trinken es auf einem Bänkchen, das vor der alten Kirche steht. Wir haben kaum ausgetrunken, als ein Mann mit priesterlichem Kollar zu uns kommt. Wohl besorgt über trinkendes Gesindel vor dem Kirchenportal deuchte es ihm, nach dem Rechten zu sehen. Ein nettes Gespräch ergab sich, danach begleitete ich ihn ins Pfarrhaus. Zurück kehrte ich mit dem gigantischen in Kirchenschlüssel in der Hand. Anschließend konnten wir die aus dem 14. Jahrhundert stammende Dorfkirche besichtigen.

Solchermaßen gesegnet, lassen wir die letzten Kilometer bis Ustka schnell hinter uns. Unter der Kulisse des grauen Herbsthimmels wirkt das alte Seebad Stolpmünde trist und öde. Hinzu kommt, dass selbst hier auf der Promenade sowie im Ortskern nicht viel los ist. Nebensaison eben.

 

Herbstliche Allee

Ustka

 

Etappe 6, Ustka (Stolpmünde) – Słupsk (Stolp): 25,04 km

Bei Bruskowo Wielkie

Die letzte Etappe soll eine kurze sein, damit uns noch etwas Zeit bleibt, Słupsk zu erkunden. Dazu müssen wir bis Duninowo wieder die 203 zurückradeln und dort nach Pęplino abbiegen. Bei dieser Gelegenheit fällt uns auf, dass polnische Ortsnamen oft auch in Italien ein gutes Bild abgeben würden. Die Straße ist ruhig und eben, sogar die Wolkendecke lichtet sich ein wenig und lässt goldene Sonnenstrahlen durchscheinen. Zusammen mit dem bunten Laub der Bäume entsteht ein Hauch von Indian Summer. Ab Wielichowo erhält die ohnehin verkehrsarme Landstraße noch einen guten Radweg samt ausgesprochen vorbildlicher Beschilderung. Eine Nebenstrecke des Eurovelo 1 führt hier nach Słupsk.

Słupsk (Stolp) ist mit seinen 95. 000 Einwohnern das hiesige Regionalzentrum. Die Fast-Großstadt beginnt gemütlich und aufgelockert mit langgezogenen Schrebergartenkolonien. Ins Zentrum geht es entlang immer verkehrsreicheren Straßen über holperige Radwege. Man ist fleißig am Bauen und verbessert die Fahrradinfrastruktur merklich. Słupsk selbst hat allerdings optisch nur wenig zu bieten. Ein paar alte Gebäude stehen versprenkelt inmitten neuzeitlichen Häusern aus dem letzten Jahrhundert. Dabei ist die Stadt keineswegs hässlich, allerdings auch kein Ort, den man unbedingt gesehen haben muss. Zu den wenigen Sehenswürdigkeiten Stolps gehört u.a. auch unsere sehr empfehlenswerte Unterkunft, das Hotel Piast. Dieses befindet sich im Gebäude des früheren Hotels Zum Franziskaner aus dem Jahre 1897.

 

 

Słupsk

Słupsker Rathaus samt Riesenparkplatz

Słupsk

FS vor dem Bahnhof in Słupsk

 

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