Rezension: The Catcher in the Rye ( J.D. Salinger )

Salingers Fänger im Roggen ist ein doppeltes Psychogramm: Das des Autors, eines zurückgezogen lebenden und leicht verschrobenen Menschen, der niemals für die Öffentlichkeit schreiben wollte. Und das seines Romanprotagonisten, der in seiner zarten Jugend auf dem Weg zum Erwachsensein scheitert, in eine psychische Ausnahmesitaution schlittert und schließlich scheitert.  Ein interessante Novelle über den verfehlten Bewältigungsversuch einer biografischen Entwicklungsaufgabe.

 

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Authentizität und Universalität zählen zu den wichtigsten Merkmalen eines Adoleszenzromans. Wenn es dem Autor gelingt, den Leser retrospektiv und plastisch in die eigene Übergangszeit zwischen Jugend und Erwachsensein zurückzuversetzen, hat er sein Anliegen erfüllt. J.D. Salinger ist genau das mit „The Catcher in The Rye“ bravourös gelungen. Darauf deutet zunächst die Rezeption seines Werkes hin: Seine Veröffentlichung katapultierte den seinerzeit bereits 50-jährigen Autor urplötzlich in die literarische Prominenz. Das ist um so erstaunlicher, als dass es niemals Salingers Anliegen war, für ein Publikum zu schreiben. Er tat dies stets nur für sich selbst und empfand die Veröffentlichung seiner Texte als tiefen Eingriff in sein Seelenleben. Aber genau das scheint die Crux seines Schaffens zu sein: Dieses ist hochgradig persönlich, authentisch und weitgehend universell. Es transportiert gesellschafts- und zeitübergreifende Gefühlswelten, die im Kampf mit der eigenen Identität an der Schwelle zum Erwachsenenleben eine exponierte Rolle spielen.

Doch Salinger geht mit seinem Fänger im Roggen weit darüber hinaus. Denn letztlich gelingt seinem Protagonisten Holden Caulfield diese Transition nicht aus eigener Kraft, sondern nur mithilfe eines Aufenthalts im Sanatorium – einer Institution der Außen- oder Erwachsenenwelt. Auf diese Weise transzendiert Salinger die Adoleszenz, indem er auf ein generelles „Unbehagen in der Kultur“ (Freud) verweist, die sich auch dem ursprünglichen Seelenleben des Erwachsenen (Freud: Lustprinzip) als oft entfremdete Lebenswelt (Freud: Realitätsprinzip) entgegenstellt. Adoleszenz mutiert so zu einem lebenslangen Prozess der inneren Anpassung des eigenen Erlebens an die befremdlichen Imperative einer hegemonialen Realität. Das „Verlogene“ kennzeichnet so nunmehr nicht nur die aus der Perspektive des Heranwachsenden wahrgenommene Welt der Erwachsenen mit all ihren psychopathologischen Verwerfungen, sondern wandelt sich zum Fingerzeig auf die potenziell frag- und kritikwürdige etablierte Alltagskultur, der sich das Individuum in einem entindividualisierenden Prozess anzupassen und zu unterwerfen hat. Mit anderen Worten ist die Erwachsenenwelt nicht nur relativ zur Jugend- oder Kindheitsheitsperspektive obskur, verstörend und herausfordernd, sie ist es auch in einem absoluten Sinne potenziell für alle Mitglieder der Gesellschaft und scheint diesen als gleichsam zwanghaft-künstliche Entität entgegenzutreten.

In diesem Zusammenhang nimmt es nicht Wunder, dass Lennon-Attentäter Mark Chapman oder Serienmörder Charles Manson ihre persönlichen Exemplare des Catchers bei sich getragen hatten. Desillusionierte und gescheiterte Existenzen, deren Identifikation mit der Figur Holden Caulfield als Antwort auf die mutmaßlich empfundene Ausweglosigkeit ihres eigenen Lebens angesehen werden kann. Salinger ist es mit seiner Hauptfigur offensichtlich gelungen, den tiefen und im Scheitern begriffenen inneren Kampf des Individuums mit einer äußeren sozialen Realität zu schildern, die dem Einzelnen gleichsam anorganisch-überwältigend und identitätsbedrohend gegenübertritt. In Holden Caulfield kristallisiert sich letztlich das kulturelle Unbehagen ganzer Generationen, und zwar Zeiten und Gesellschaften übergreifend. Die Faszination des Romans ist im postmodernen Deutschland ebenso hoch, wie sie es in den prüden end-fordistischen USA der 1950er Jahre war.

 

Sexualität

Holden hatte noch nie Sex. Trotzdem – oder auch genau deshalb – sucht er immer wieder den Kontakt zu Frauen. Neidvoll-aggressiv reflektiert er die sexuellen Erfahrungen des reiferen Zimmergenossen Stradlater, wobei es schließlich zu körperlicher Gewalt als Folge Holdens verbaler Entgleisungen kommt (“ ‚Get your lousy knees off my chest,‘ I tollt ihm. I was almost Bowling. I really was. ‚Go on, get offa ma, ya crumby Bastard.‘ „.) Als ihm der halbkriminelle Liftboy Maurice die Prostituierte Sally vermitteln will, ist Holden nicht abgeneigt und sagt zu. Zu sexuellen Handlungen kommt es jedoch nicht, da Holden von Sally derart deprimiert ist, dass er die vereinbarte Zeit lieber zu einer Unterhaltung nutzt. Die Umstände der Situation deuten allerdings darauf hin, dass ihm angesichts der überfordernden Situation die Reife zu einer adäquaten Reaktion fehlt, was die deprimierte Verstimmung als rationalisierendes Ausweichargument entlarvt („I know, you’re supposed to feel pretty sexy when somebody gets up and pulls their dress over their heda, but I didn’t. Sexy was about the last Thing I was Feeling. I fehlt much Moore depressiv than sexy.“).

Zum Roman:

„The Catcher In The Rye“ erschien erstmals im Jahre 1951 als Erstlingswerk des damals mittlerweile 50-jährigen Autors. Die erste deutsche Übersetzung wird Heinrich Böll und seiner Ehefrau Annemarie zugeschrieben, wobei die größte Schwierigkeit darin bestand, die oft sehr idiomatische und an Vulgarismen reiche Sprache adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Die zurzeit neuste Übersetzung durch Eike Schönfeld erschien im Jahre 2003. Veröffentlicht wurden von J.D. Salinger noch einige wenige Erzählungen sowie der Roman „Franny und Zoey.“ Da Salinger nur zu seinem eigenen Vergnügen schrieb und der Veröffentlichung seiner Werke ablehnend gegenüberstand, dürfte sich ein Großteil seiner Arbeiten noch im Besitz seiner Familie befinden. Die Figur des Holden Caulfield erschien bereits in Texten, die Salinger als US-Soldat im Zweiten Weltkrieg verfasst hatte. Salinger starb im Jahre 2010.

Da die sehr idiomatische Sprache das Werkes nicht nur eines seiner wichtigsten stilistischen Merkmale, sondern auch wesentlicher interpretatorischer Schlüssel zur Gedankenwelt seines Protagonisten ist, liegt dieser Ausarbeitung der englische Originaltext zu Grunde. Es ist jugendlichen Lesern durchaus zuzumuten, die trotz aller stilistischen Eigenheiten relativ verständliche Sprache des Romans weitestgehend verstehen zu können – denn trotz aller Sorgfalt in den Übersetzungen ermöglicht nur der englische Originaltext die gebotene sprachliche und damit auch emotionale Authentizität.

Exemplarisches Zitat:

„The Catcher In The Rye“ rekurriert auf einer Zeile des Gedichtes Comin‘ Thro‘ the Rye des schottischen Lyrikers Robert Burns (1759 – 1796; „If a body meet a body coming through the rye“). Die Schlüsselpassage im Roman lautet: “ ‚“If a body catch a body“, ‚I said. ‚Anyway, I keep picturing all these little kids playing some game in this big field of rye and all. Thousands of little kids, and nobody’s around – nobody big, I mean – except me. And I’m standing on the edge of some crazy cliff. What I have to do, I have to catch everybody if they start to go over the cliff – I mean if they’re running and they don’t look where they’re going I have to come and to catch them. That’s all I’d do all day. I’d just be the catcher in the rye. I know it’s crazy, but that’s the only thing I’d really like to be. I know it’s crazy.“

Holden spricht diese Worte zu seiner Schwester Phoebe, die als unberührte und im moralisierenden Sinne unschuldige Vertreterin der Kindheit fungiert. Die Metapher des Fängers im Roggen lässt sich im Kontext der Romahandlung als Figur deuten, die die Kinder vor dem Übergang ins Erwachsenenleben bewahren möchte, sie also auffängt, sobald sie an die Schwelle der Transition (Cliff) treten.

 

 

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