Lernspsychologische Grundlagen


In Pädagogik und Psychologie bildet die Psychologie des Lernens eine wichtige Basis für das Verständnis entwicklungsbezogener kognitiver Prozesse. Ideengeschichtlich bilden dabei der Behaviorismus, der Kognitivismus und schließlich der Konstruktivismus den jeweiligen erkenntnistheoretischen Rahmen zum Verständnis von Persönlichkeitsentwicklung, Informationsverarbeitung und Verhaltenssteuerung. Insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie schaut auf innerpsychische Aspekte des menschlichen Verhaltens und die zugrundeliegenden Prozesse der Wahrnehmung, Bewertung, Speicherung und Verarbeitung von Informationen.

In der politischen Verhaltenssteuerung der Bevölkerung durch staatliche Instanzen kommen dagegen überwiegend behavioristische Ansätze zu Einsatz, wie jüngst die Corona-Krise eindrucksvoll verdeutlicht hat (und was auch ein dementsprechendes Menschenbild impliziert). 

 

Behaviourismus

Der Mensch als Reiz-Reaktions-Maschine: Das Gehirn wird als „Blackbox“ angesehen, innerpsychische Prozesse sind nur indirekt beschreibbar als Zusammenhang zwischen einem von außen applizierten Stimulus und einer nur von außen beobachtbaren Reaktion. Für Lernprozesse werden folglich die äußeren Bedingungen in den Fokus gerückt, für die Erfolgskontrolle das beobachtete Verhalten. Innere Prozesse werden als objektiv nicht erhebbar angesehen und komplett ausgeklammert, es zählt einzig die beobachtbare Wechselwirkung zwischen Organismus und Umwelt.  Aus dem Behaviorismus stammen die klassischen lerntheoretischen Modelle des klassischen und operanten Konditionierens als Erklärung menschlichen Verhaltens.

Klassische Konditionierung (Pawlow, Watson);

Ein zunächst neutraler Reiz (Veränderung in der Umwelt) löst eine Reaktion aus (z.B. ein heißes Bügeleisen führt zum spontanen Zurückziehen der Hand). 

Dieser unkonditionierte Reiz (z.B. Hundefutter) führt also zu einer unkonditionierten Reaktion (z.B. Speichelfluss) des Organismus. Wird der unkonditionierte Reiz wiederholt mit einem neutralen Reiz gekoppelt (z.B. Glöckchen), kann die ursprünglich unkonditionierte Reaktion durch den vormals neutralen Reiz ausgelöst werden. Ist das der Fall, verwandelt er sich in einen konditionierten Reiz. 

Operantes (auf Umwelt einwirkendes, instrumentelles) Konditionieren (Thorndike, Skinner) 

Im Unterschied zur klassischen Konditionierung, in der prinzipiell jeder verfügbare Reiz mit einer Reaktion verknüpft werden kann, bestehet beim operanten Konditionieren eine funktionale Beziehung zwischen einer Reaktion des Organismus und den damit ausgelösten Reizen aus der Umwelt (Handlungsfolgen). Verhalten ist demnach eine spontane Reaktion, die von den antizipierten Folgen geformt wird, die als angenehm oder unangenehm erlebt werden. 

Stimuli als Konsequenzen für Verhalten haben also einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der dieses Verhalten in Zukunft wieder auftritt. Dabei ist ein 

  • Verstärker ein Stimulus, der die Verhaltenswahrscheinlichkeit erhöht und eine
  • Bestrafung ein Stimulus, der die Verhaltenswahrscheinlichkeit reduziert.     

Verstärker werden unterschieden in

  • positive Verstärkung (C+; Bekräftigung, Belohnung): Ein als positiv erlebtes Ereignis folgt dem Verhalten. Die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht sich.
  • negative Verstärkung (C-; Wegfall negativer Konsequenz): Durch das Ausbleiben eines unangenehmen Reizes kommt es zur Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens. Hier kann es zum Vermeidungsverhalten kommen (z.B. Verstärkung durch Ausbleiben von Angstzuständen).

Verstärker können unterteilt werden in

  • primäre Verstärker: Konsequenzen, die der Befriedigung physiologischer Grundbedürfnisse dienen.
  • sekundäre Verstärker: Konsequenzen, die der Befriedigung nicht lebensnotwendiger Bedürfnisse dienen.
  • materielle Verstärker: Dingliche Konsequenzen.
  • Handlungsverstärker, soziale Verstärker: Verstärkung durch angenehme Tätigkeiten im Beisein anderer Personen.

Bestrafung ist ein als unangenehm empfundener Stimulus, der die Verhaltenswahrscheinlichkeit reduziert. Es wird unterschieden in:

  • direkte Bestrafung (C-; positive Bestrafung): Ein aversiver Reiz folgt auf Verhalten, was die Auftretenswahrscheinlichkeit zumeist kurzfristig reduziert. 
  • indirekte Bestrafung (C+; negative Bestrafung): Durch das Ausbleiben eines angenehmen Reizes nimmt die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens ab.  

Extinktion (Löschung): Durch Nichtverstärkung (Ignorieren) kommt es zur Abnahme der Verhaltenswahrscheinlichkeit.

Intermittierende Verstärkung: Wird ein Verhalten zwar überwiegend, aber nicht regelmäßig belohnt (positiv verstärkt), kommt es zu einer besonders hohen Löschungsresistenz.  

Auf die Anwendung von Strafen sollte im pädagogischen Kontext weitgehend verzichtet werden: 

  • Strafen führen zu einem neurophysiologischen Gewöhnungseffekt (das Gehirn verarbeitet nur Differenzen, die theoretisch immer größer ausfallen müssen).
  • Unerwünschtes Verhalten wird lediglich unterdrückt, während es kaum zur Entwicklung positiver Verhaltensalternativen kommt. 
  • Strafen verursachen belastende Emotionen und Beeinträchtigen die Würde des Bestraften.
  • Strafen können zu Vermeidungsverhalten ohne Einsicht in den Handlungsfolgen führen.
  • Strafen können Selbstwertgefühl und Identität beeinträchtigen.
  • Strafen können zu negativem Vorbildverhalten führen (Modelllernen).
  • Strafen können Gegenaggressionen (Opposition, Reaktanz, passive Aggression) hervorrufen.

 

 

Kognitivismus

Im Laufe der Zeit wurden die erkenntnistheoretischen Grenzen der behavioristischen Sichtweise immer deutlicher. Die Betrachtung des menschlichen Geistes als Blackbox hatte zur Folge, dass Untersuchungen nur beobachtbares Verhalten zum Inhalt haben konnten. Intentionalität oder Selbstreflexivität, letztlich also individuelle Verarbeitungprozesse aufgenommener Informationen, spielten in diesem mechanistischen Weltbild keine Rolle.

Die Wahrnehmung nimmt eine zentrale Position ein und ist kein passiver Prozess, sondern eine aktive Form der Informationsverarbeitung und -speicherung, die einer Reihe physiologischer und wahrnehmungspsychologischer Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Gespeicherte Informationen können wieder abgerufen und miteinander verknüpft oder auch verglichen werden. Kognitivistische Lerntheorien zielen also auf die menschliche Informationsverarbeitung ab, die zwar interindivduell höchst unterschiedlich ablaufen kann, jedoch vergleichsweise starren überindividuellen Vorgaben folgt.

In lerntheoretischer Hinsicht rückt damit die für den Lernenden wahrnehmbare Aufbereitung von Bildungsinhalten in den Vordergrund. Die Methodik kongnitivistischer Angebote zielt auf die Informationsverarbeitung des Empfängers ab und versucht, Informationen so in möglichst günstiger Weise aufzubereiten und darzubieten, dass Verstehen oder Erkennen optimal unterstützt werden. 

Dem Lernenden kommt also eine (leicht) erweiterte aktive Rolle zu, indem er Informationen wahrnehmen, prozessieren und daraufhin Lösungswege erarbeiten muss. Auch der Lehrende übt eine aktive Rolle aus, indem er Methoden und Medien anhand didaktischer Vorgaben auswählt und in der Wissensvermittlung zur Anwendung bringt (didaktische Gestaltung der Lerninhalte). 

Zwar erfordern kognitivistische Ansätze eine deutlich aktivere Eigenbeteiligung von Lehrenden und Lernenden und berücksichtigen auch unterindividuelle Unterschiede in der kognitiven Informationsverarbeitung, verfolgen in der Regel jedoch nur im Vornherein festgelegte (objektive?) Lernziele auf häufig standardisierten Lernwegen.

Drei Hauptansätze: 

Beim Lernen am Modell (auch Nachahmungslernen, Bandura) beruhen Lernprozesse auf Verhaltensbeobachtungen anderer Menschen, die dafür nicht zwingend persönlich anwesend sein müssen – es reicht also auch ein Film, Buch oder Hörensagen. Nachahmungslernen erfolgt dabei in zwei Schritten, erstens der Beobachtung des Modells und der gedanklichen Bewertung plus  Nachvollziehung des Beobachteten und zweitens der Ausführung des beobachteten Verhaltens in einer passenden Situation. 

Beim Lernen durch Einsicht kommt die Fähigkeit zur kognitiven Umstrukturierung zum Tagen, die angesichts einer neuen Situation oder Aufgabe das Finden einer Lösung ermöglicht. Dafür ist es wichtig, Inhalte anzunehmen und zu bewerten sowie diese in einen übergeordneten Zusammenhang setzen und Kausalitäten erkennen zu können. Eine Verhaltensänderung wird so wahrscheinlicher, auch wir das Handlungsrepertoire soweit ergänzt, dass neue Handlungsstrategien auch auf andere Problemstellungen angewendet werden können.

Das Entwicklungsstufenmodell geht auf Jean Piaget zurück und beschreibt vier Entwicklungsstufen, die jeder Mensch im Rahmen seiner kognitiven Entwicklung durchläuft und die durch jeweils spezifische Merkmale gekennzeichnet sind:

  • Sensomotorische Phase (Säuglingsalter, 0 – 2 Jahre: Das Kind sammelt sinnliche und motorische Erfahrungen, seine kognitiven Fähigkeiten nehmen dabei mit zunehmenden Bewegungsmöglichkeiten zu. Der Organismus reagiert zunächst mit motorischen Reaktionen auf sinnliche Reize. Innerhalb des ersten Lebensjahres wird zudem die Fähigkeit zur Objektpermanenzentwickelt (Fähigkeit, die innere Repräsentanz eines Objektes auch bei dessen Nichtwahrnehmung aufrechtzuerhalten). Piaget unterscheidet sechs Teilphasen: angeborene Reflexmechanismen (Körperreflexe), primäre Kreisreaktionen (Körpererfahrungen werden wiederholt, wenn sie als angenehm empfunden werden; Handlungsschemata werden auf immer mehr äußere Objekte angewendet), sekundäre Kreisreaktionen (mit motorischen Handlungen können bestimmte Effekte in der Umwelt ausgelöst werden, sie können instrumentell angewendet werden), internationales Verhalten (bereits gelernte Effekte können auf weitere Objekte / Situationen angewendet werden), tertiäre Kreisreaktionen (Interesse an Kausalitäten, durch Experimentieren werden neue Handlungsschemata erlernt), Übergangsphase (Handlungen und ihre Folgen können innerlich vollzogen, erste Planungen gemacht werden; Entstehen einer inneren Repräsentanz eines Objektes)
  • Präoperationale Phase (2 bis 7 Jahre): Wahrnehmung dominiert Logik bei Weitem, es herrschen irrationale Vereinfachungen der Beurteilung der Welt vor: Anthropomorphismus (Vermenschlichung von Gegenständen), Magisches Denken (physikalisch bedingten Eigenschaften von Gegenständen wird Internationalität zugeschrieben) Logischer Irrtum Mengenkonstanz (z.B. Umschüttversuch), Egozentrismus (die eigene Ansicht wird für die einzig mögliche gehalten. Die Fähigkeit zur Deduktion (logische Operation: Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere) markiert den Übergang zur nächsten Phase.
  • Konkret-operationale Phase (7 – 12 Jahre): Logische Operationen können zu einem wachsenden Anteil abstrakt-hypothetisch fern des konkreten Objekts durchgeführt werden, stoßen aber schnell an ihre Grenzen. Hier stehen insbesondere die Fähigkeit zur Klassifikation (Zuordnung von Objekten zu Kategorien), Reihenbildung (Sortierung nach Merkmalen) und Umkehrbarkeit (Verständnis von Kausalitäten) im Vordergrund.
  • Formal-operationale Phase (12 – 15 Jahre): Das Kind kann Probleme vollständig auf hypothetische Weise lösen sowie Schlussfolgerungen ziehen und Variablen mental verändern.   

Diese Stufenabfolgen können als Systematisierungen folgender zugrundeliegender Prozesse angesehen werden: 

Schemata: Kognitiv organisierte Wissensbestände oder Verhaltensmuster, die als (routinisierte) Vorlage für Handlungen dienen. 

Schemata müssen mit fortschreitender Entwicklung stets neuen und sich verändernden Umweltanforderungen angepasst werden (Adaption). Dies erfolgt über

Assimilation (Anpassung, Strukturerhaltung): Neue Erfahrungen werden in bestehende Schemata (subjektive Bezugssysteme) eingegliedert, Neues also in Bestehendes einsortiert. Erforderlichenfalls wird die Wahrnehmung so umgedeutet, dass neuartige Informationen in ein Schema integriert werden können, ohne dieses zu verändern. 

Gelingt dies nicht, etwa weil eine neue Information vom alten Schema nicht bewältigt werden kann, erfolgt die Akkommodation, die Anpassung, Ergänzung oder Ausdifferenzierung des bestehenden Schemas. 

Treibender Prozess ist das Streben des Individuums nach einem Gleichgewicht zwischen subjektiven Repräsentanzen und vorgefundenen Umweltanforderungen, letztlich also zwischen den komplementären Prozessen Assimilation und Akkommodation. 

Konstruktivismus

Piaget befindet sich mit seinem Stufenmodell bereits an der Schwelle zum Konstruktivismus (und wird von vielen Autoren auch dort verortet), da es nicht mehr nur um bloßes Prozessieren von Informationen geht, sondern auch um aktives Gestalten von Inhalten, das sich in der Interaktion mit der materiellen und sozialen Umwelt vollzieht. Assimilation und besonders die Akkommodation sind aktive Eigenleistungen des Organismus, die nahezu vollständig nach dessen eigenen Gesetzmäßigkeiten und weitgehend unabhängig von äußeren Impulsen ablaufen. 

Grundüberzeugung des Konstruktivismus ist der Aufbau allen individuellen Wissens durch ein denkendes Subjekt in einem aktiven und selbständigen Prozess. Lernen ist daher die Konstruktion eines viablen Umweltmodells. Da eine objektive Betrachtung der Welt aus einer subjektlosen Perspektive heraus nicht möglich ist, kann es auch keine objektive Wirklichkeit geben. Viabilität bedeutet in diesem Zusammenhang die Passgenauigkeit von Handlungen und Begriffen zu den Intentionen und Beschreibungen, auf die sie angewendet werden. Kognitionen sind adaptiv und dienen der Organisation der erfahrenen Welt, nicht aber der Entdeckung des Seienden. 

Die erlebte Welt ist somit Produkt des erlebenden und aktiv handelnden Bewusstseins vor dem Hintergrund dessen Biografie und Erfahrungsschatzes. Aus diesem Grunde kann die Annahme eines gesicherten Wissens oder Dichotomisierungen in richtig oder falsch nicht aufrechterhalten werden. 

Erlebnisse beruhen auf sinnlichen Beobachtungen, die von beobachtenden Instanzen gemacht werden, die im Beobachtungsprozess nicht gleichzeitig die immanenten ‚blinden Flecken‘ einer Beobachtung wie Perspektiven oder Kontextbedingungen beobachten können (Beobachtungstheorem). Daraus folgt, dass eine Welt außerhalb der subjektiven Wahrnehmung durchaus existiert, jedoch kaum wirklichkeitsgetreu erkannt werden kann. Jede Erkenntnis und jedes Wissen unterliegt der Perspektivität. 

Im pädagogischen Kontext folgt daraus eine Ermöglichungsdidaktik:  

Diese ist nicht-linear, nicht-vorhersagbar und vom lernenden Individuum selbstorganisiert. Der Lernende erschließt sich selbständig die Welt und wird vom Lehrenden innerhalb von Lernprojekten begleitet, unterstützt und beraten. Da eine dichotome Bewertung des Ergebnisses von Lernprozessen in Kategorien wie richtig oder falsch nicht möglich ist, erfolgt die Gültigkeitsprüfung der Wirklichkeitskonstruktionen im reflektierenden Dialog. Die subjektive Wirklichkeit kann nur individuell wahrgenommen, konstruiert und gedeutet werden. 

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