Radreise von Warschau nach Minsk

[Juli / August 2015; ca. 1.300 km; 31 Tage] Mit dem Zug von Büchen nach Berlin und weiter mit dem Berlin-Warszawa-Express nach Warschau. Über Sokołów Podlaskie und Siemiatyce nach Hajnówka durch die ostpolnische Woiwodschaft Podlachien. Weiter in einen der letzten europäischen Urwälder im Białowieża-Nationalpark an der Grenze zu Weissrussland. Nach einigen Tagen im polnischen Teil des Nationalparks Weiterfahrt in den weissrussischen Teil nach Kamianiuki (Kaмянюki). Über Slonim (Слoнм), Baranovichi (Бapaнaвiчi) und Dzyarzhynsk (Дзяpжынcк)weiter nach Minsk (Miнск). Nach einigen Tagen in der großartigen Hauptstadt Hauptstadt mit dem Regionalzug nach Brest (Бpзст).

Per Rad dann wieder zurück nach Kamianiuki (Kaмянюki) und weiter durch Ostpolen vorbei über Siedlce nach Warschau.

 

Prolog

Über kaum ein anderes europäisches Land scheint es so viele Vorurteile zu geben, wie über Weissrussland. Und kein anderes europäisches Land scheint diese Vorurteile so wenig verdient zu haben, wie Belarus. Zumindest einen großen Teil favon. Immer noch ist die Rede von „Europas letzter Diktatur“, einer unsäglichen Aussage, die auf die ehemalige US-Außenministerin Condolezza Rice zurück geht. Wie weit sich das US-amerikanische Regierungssystem mittlerweile von Demokratie und Menschenrechten entfernt hat, sei einmal dahingestellt.

Und über auch kaum ein anderes europäisches Land gibt es so wenige Reiseinformationen, wie über Weissrussland. Dabei liegt Belarus gleich östlich von Polen, also immer noch in Zentraleuropa. Und doch scheint es weiter entfernt zu sein, als mancher Landstrich hinter dem Ural – zumindest in publizistischer Hinsicht.

Reiseführer zu Belarus gibt es eigentlich nur einen. Und selbst wir als stolze Besitzer der neuesten 2015er-Ausgabe des englischsprachigen Werkes mussten feststellen, dass viele der Informationen zu Weissrussland und seinen Bewohnern dort sagen wir einmal ein wenig sonderbar ausgefallen sind. Da ist die Rede vom Mutterland der Bürokratie, von unfreundlichen postsowjetischen Angestellten, von schikanösen Grenzbeamten oder obligatorischen Prostituierten in den Hotelfoyers. All das mag es hie und da geben. Erlebt haben wir nichts von alledem.

Was wir erlebt haben, ist dagegen ein prima Radreiseland mit freundlichen und hilfsbereiten Menschen. Selten haben wir uns in einem Gastland auf Radreise so wohl gefühlt. Hinzu kommen gute Straßenverhältnisse, eine relativ fahrradfreundliche Topografie sowie Natur ohne Ende.

Und dann Minsk. Die belarussische Hauptstadt steht ganz oben auf unserer Liste der schönsten und angenehmsten Hauptstätte weltweit. Und das will schon etwas heissen. Wir hoffen, dass wir mit diesem Reisebericht Weissrussland aus der Schmuddelecke holen können, in die es von westlichen Medien gerne gestellt wird. Vielleicht können auch Sie sich bei ihrer nächsten Radreise davon überzeugen, dass es sich auch östlich von Polen prima radeln und reisen lässt.

 

Etappe 1:  Lübeck – Büchen – Berlin-Friedrichshain  (67,60 km)

Die Bahnverbindung zwischen Lübeck und Büchen ist eine Katastrophe. Es verkehrt der Regionalexpress Kiel – Lüneburg (RE), und dieser zählt zu den schlimmsten „Produkten“ der Deutschen Bahn. Stets überfüllt, unpünktlich und teuer, ist er eine Paradebeispiel für eine verfehlte Verkehrspolitik der Bahn, die in Stuttgart lieber Prachtbahnhöfe baut, als marode Verbindungen auf Vordermann zu bringen.

Claudia in Berlin

Um uns nicht diesem Schienenärgernis auszusetzen, radeln wir lieber nach Büchen. Denn dort müssen wir in den Zug nach Berlin um- oder einsteigen, und das wäre mit dem ständig verspäteten RE äußerst riskant. Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite, und so rollen wir vorbei am Ratzeburger See nach Mölln und weiter nach Büchen.

Der Büchener Bahnhof ist recht weitläufig, weil er nach der Wende um die Gleise in den Osten der Republik erweitert wurde. Das zumindest mutmaßen wir, während wir auf den Intercity von Hamburg nach Berlin warten. Und was wäre eine Zugverbindung der Deutschen Bahn ohne obligatorische Verspätung? Eben, pünktlich kann ja jeder. Und so müssen wir eine gute halbe Stunde länger am Bahnsteig stehen, bis der Zug endlich eintrudelt.

Berlin-Mitte

Dann geht aber alles recht fix. Eilig hastet der Zug durch Mecklenburg und Brandenburg, bis er nach knapp zweieinhalb Stunden in Berlin einfährt. Dort erweist sich der Hauptbahnhof mal wieder als Ärgernis (nicht nur) für Radreisende. Seine Planer haben ihn so konstruiert, dass sich die Bahnsteige vertikal über mehrere Etagen verteilen. Verbunden werden die Etagen mit vielen Rolltreppen und nur wenigen, ständig besetzten Aufzügen. Und so ist man zwar recht schnell von Büchen in Berlin, braucht aber eine geschlagene halbe Stunde, um aus dem fehlkonstruierten Hauptbahnhof endlich raus in die Stadt zu kommen.

Der Berlin-Warszawa-Express

Berlin empfängt uns am frühen Abend mit lauer Sommerluft. Bis zu unserem Hotel in Friedrichshain sind es noch knapp zehn Kilometer, die wir aber gerne durch die sommerlich aufgeheizte Stadt radeln. Im Grunde geht es nur geradeaus, vorbei am Reichstag und durch das Brandenburger Tor zum Alexanderplatz. Dann weiter in die Frankfurter Allee mit ihrer prächtigen sozialistischen Bebauung, die in meinen Augen zu den schönsten Boulevards Europas zählt.

Östlich des Frankfurter Tors ist leider Schluss mit prächtig. Es scheint, dass sich auch die Passanten an die profanere Bebauung des bürgerlichen Friedrichshain anpassen. Eine Bierflasche in der Hand zählt hier offensichtlich zur Grundausstattung des jungen Berlintouristen, von denen hier jede Menge durch die Straßen flanieren.

Wir quartieren uns im Hotel Georgenhof ein und essen einen obligatorischen Vöner im gleichnamigen veganen Imbiss in der Boxhagener Straße. Lecker.

Lecker Bier in Bordrestaurant

Abendlicher Blick auf Warschau (rechts Warshaw Trade Tower, 208 Meter)

Warszawa (Warschau)

Vom Autor, Schauspieler und Polenkenner Steffen Möller stammt der Ausspruch, dass Warschau die hässlichste Hauptstadt Europas sei. So ganz bestätigen können wir das nicht. Verhehlen wollen wir aber auch nicht, dass da etwas dran sein könnte.

Mit etwas über 1,7 Millionen Einwohnern und 517 Quadratkilometern Fläche ist die polnische Hauptstadt nur eine Handbreit kleiner als Hamburg. Dafür aber – zumindest auf den ersten Blick – um einiges moderner und futuristischer. Warschau wartet mit mehr Wolkenkratzern auf, als die Bankenmetropole Frankfurt am Main. Und in Sachen Architektur geht man dort durchaus wagemutiger vor, als in deutschen Großstädten.Allerdings ordnen sich die Warschauer Wolkenkratzer noch brav der Höhenvorgabe des alt-ehrwürdigen Kulturpalastes aus Sowjetzeiten unter. Und die objektive Betrachtung der Skyline zeigt schnell, wie selbst eine gewagte neomoderne Architektur im Schatten des wuchtigen Zuckerbäckerturms in ihre Schranken gewiesen wird.

Modernes Warschau

Nach Warschau kommt man idealer Weise mit dem Zug, und zwar dem Berlin Warschau Express. Diese Bahnverbindung wird zu genau definierten Teilen von der Deutschen und Polnischen Bahn (PKP)betrieben und verkehrt mehrmals täglich zwischen den Hauptstädten.

Bedeutsam werden die Betreiberverhältnisse vor allem im Restaurantabteil des Zuges, das von der polnischen Firma „Wars“ unterhalten wird. Denn nur deshalb kann ich schon weit vor der Grenze zu Polen ein erstes polnisches Bier der Marke Żywiec (sprich: Schüwiäß) trinken. Und zu einem so leckeren polnischen Bier gehört selbstredend ein polnischer Wodka, der im Wars nicht in deutschen Warmduscher-, sondern in osteuropäischen Kennerdosen serviert wird. Immerhin 50cl misst das Wodkagläschen, das mir die langweilige Strecke zwischen Berlin und Frankfurt an der Oder versüsst.

Die Oder ist ein sympathischer Fluss, weil sie kaum schiffbar ist und mehr oder weniger naturbelassen zwischen Polen und Deutschland vor sich hin mäandert. Und vor allem auch deshalb, weil sie die Grenze zum unheilvollen Hoheitsbereich einer Angela Merkel und ihrer Junta markiert. Nicht, dass Polen mit seinem unkritischen Bekenntnis zum Turbokapitalismus politisch so viel besser wäre. Aber Merkel hat dort nichts mehr zu melden, und das ist ja immerhin schon mal was.

In der Altstadt

Unsere – dank des Getränkeangebots im „Wars“ – sehr kurzweilige Zugfahrt durch die polnischen Woiwodschaften Lubuskie (Lebus), Wielkopolskie (Großpolen) und Masowien (Mazowiekie) endet am frühen Abend am Warschauer Hauptbahnhof Warszawa-Centralna. Dessen markantes Gebäude liegt im Windschatten des mächtigen Kulturpalstes mitten im Zentrum der Hauptstadt. Auch hier verlaufen die Gleise in den unteren Etagen, doch anders als im Berliner Gegenstück ist ihre Anzahl auf ein vertretbares Maß begrenzt.

Stare Miasto, Siegismundsäule (plac Zamkowy)

Und so dauert es auch nicht lange, bis unsere Räder endlich über die Straßen Warschaus rollen. Wir haben ein Appartement im Stadtteil Mirów gemietet, das im siebten Stockwerk eines hypermodernen Hochhauses liegt. Von unserem Hotel aus haben wir einen Spitzenblick auf das Hilton sowie den Warshaw-Tade-Tower, der mit 208 Metern Höhe immerhin das dritthöchste Gebäude der Stadt ist. Überhaupt ist Mirów von Hochhäusern und Wolkenkratzern geprägt. Zwischen den Giganten aus Glasbeton lugen hie und da noch verfallene Ziegelbauten hervor und erinnern daran, dass sich im Dritten Reich das Warschauer Ghetto über ein Großteil des Viertels erstreckte.

Denkmal des Warschauer Aufstands (Pomnik Powstania Warszawskiego)

Und so duckt sich im Schatten der Glaspaläste ganz in der Nähe unseres Appartements noch ein kleiner Abschnitt der ehemaligen Ghettomauer. Ein kleines Schildchen weist auf den historischen Stellenwert der zwanzig Meter Mauerrest hin, die inmitten des modernen Mirów wie ein Fremdkörper wirken.

Kulturpalast (231 Meter) und Złota 44 (192 Meter)

 

Auf den Spuren des Warschauer Ghettos

Als Deutsche haben wir es nicht leicht in Polen. Aber nicht nur dort. Unsere Geschichte hat zur Folge, dass wir uns an vielen Orten in Europa nicht allzu wohl fühlen können. Doch gerade Polen – und insbesondere Warschau – wurde von unseren Nazi-Altvorderen besonders schrecklich heimgesucht. Nun ist es nicht so, dass wir im Jahr 2015 mit belegter Stimme und gesenktem Blick jeden Polen nach der nächsten KZ-Gedenkstätte fragen würden. Dennoch lässt sich Warschau für uns nicht besuchen, ohne nach den Gräueltaten des Dritten Reiches zu suchen.

Und von diesen gibt es in Warschau vor allem zwei besonders herausragende, nämlich die Internierung der jüdischen Bevölkerung im Warschauer Ghetto sowie die Besatzung und Zerstörung der Stadt durch deutsche Truppen. Bis zum heutigen Tage gehört das Andenken an die Warschauer Aufstände gegen den Naziterror zum Selbstverständnis der Stadtbevölkerung. An vielen Orten der Stadt ist das Kürzel der Warschauer Widerstandsbewegung noch heute zu sehen. Und auch das Denkmal des Warschauer Widerstands (Pomnik Powstania Warszawskiego) am Plac Krasińskich verdeutlicht mit seiner überaus dynamischen Darstellung der aus den Abwässerkanälen aussteigenden Aufständischen den noch immer aktuellen Stellenwert des Aufstands gegen den Naziterror.

Die Steelen markieren den ehemaligen Übergang zwischen dem großen und kleinen Ghetto

 

Das Warschauer Ghetto erstreckte sich auf einer Fläche von über 400 ha über die damalige Innenstadt und den heutigen Stadtteil Mirów. Über ein Drittel der damaligen Stadtbevölkerung wurde auf diesem kleinen Areal unter katastrophalen Lebensbedingungen eingepfercht. Ab Juli 1942 wurde das Warschauer Ghetto sukzessive aufgelöst. Hunderttausende Juden wurden in Viehwagons in das Vernichtungslager Treblinka verfrachtet, wo sie grausam ermordet wurden.

Im modernen Warschau ist nicht mehr allzu viel vom Ghetto zu finden. Das liegt vor allem daran, dass die Gebäude des Areals von den Nazis zerstört wurden. Es ist nur noch sehr wenig der alten Bausubstanz erhalten geblieben, und diese lugt wie Fremdkörper zwischen den neueren Bauten aus sozialistischer und kapitalistischer Zeit hervor. Vereinzelt stehen noch Reste der Ghettomauer. Sehenswert sind die Stelen in der Ulica Elektoralna, die die Stelle markieren, an der sich der Übergang vom großen zum kleinen Ghetto befand.

Chopin-Denkmal im Park Łazienkowski

Dachgarten auf der Unversitätsbibliothek

Am Rondo de Gaulle

 

Hier eine kleine Auswahl von Sehenswürdigkeiten, Orten, Straßen und Stadtteilen, die wir an diesem ersten Aufenthalt unserer Reise in Warschau besichtigt haben. Generell kommt man in Warschau recht gut mit dem Fahrrad herum, wobei es sogar die ein oder andere Fahrradspur in der Stadt gibt. In Sachen Rücksichtnahme haben sich die Warschauer Autofahrer allerdings westlichen Standards angepasst und betrachten Radler leider auch als lästige Fremdkörper auf den Fahrbahnen.

  • Stare Miasto (Altstadt): Eigentlich ist sie ein Fake, die Warschauer Altstadt. Nachdem sie im Anschluss an den Warschauer Aufstand von SS und deutschen Truppen akribisch zerstört wurde, entschloss man sich für einen Wiederaufbau inklusive originalgetreuer Rekonstruktion der Gebäude. Es folgte eine der aufwändigsten Baumaßnahmen in der Geschichte Europas. Trotzdem ist die Warschauer Altstadt bei der einheimischen Bevölkerung wenig beliebt, was angeblich daran liegen soll, dass sie eben nur eine Rekonstruktion ist. Besucht wird sie vor allem von Touristen, was sich am hohen Preisniveau der hiesigen Lokalitäten ablesen lässt.
  • Mariensztat: Unterhalb der Altstadt und zur Weichsel gelegen, wurde Mariensztat nach den Kriegszerstörungen nicht mehr originalgetreu rekonstruiert. Als Vorbild für den Wiederaufbau diente das Ideal eines Dorfes aus dem 18. Jahrhundert. Lauschiger kann man mitten in einer Millionenstadt kaum wohnen.
  • Grabmal des Unbekannten Soldaten: Die ewige Flamme brennt in den letzten erhaltenen Arakaden des Pałac Saski, der im zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde zum Gedenken der Opfer dieses Krieges. Aus unterschiedlichen Gründen sehenswert ist die tägliche Wachablösung (12 Uhr).
  • Park Łazienkowski / Ujazdowski: Die großen Parkanlagen zählen zu den schönsten Europas und beherbergen weitere Sehenswürdigkeiten wie etwa Schloss Ujazdowski, die Alte Orangerie oder Chopin-Denkmal. Leider dürfen Fahrräder nicht mit auf das Gelände genommen werden, und warum nicht gejoggt werden darf, wissen nur die polnischen Götter. Seinen Eintrittspreis nicht wert ist auch der Botanische Garten der Universität.
  • Trakt Królewski / Krakowskie Przedmiejsce: Auch Warschau hat seinen Prachtboulevard, und dieser erstreckt sich vom Schlossplatz in Richtung Süden – und dort über den Rondo de Gaulle mit seiner Palme weiter über Novy Świat und aleja Ujazdowskie bis zum Belwedere. Zum entspannten Flair trägt wesentlich bei, dass der Abschnitt zwischen Schlossplatz und Rondo de Gaulle verkehrsberuhigt ist.
  • Praga: In Frankfurt gibt es Hibbdebach und Dribbdebach, in Warschau Praga und den Rest der Stadt. Praga ist der Stadtteil östlich der Weichsel und gilt als verrufen. Im Unterschied zum den Stadtteilen westlich des Flusses wurde Praga jedoch nicht im Krieg zerstört und zeigt daher das ursprüngliche Warschau. Als besonders sehenswert haben wir das lärmige Praga jedoch nicht erlebt. Interessant mag das protzige Nationalstadium (Stadion Naradowy) sein, das zur EM 2012 an den Ort des alten Stadions geklotzt wurde.
  • Pawiak-Gefängnis: Das 1830 erbaute Gefängnis wurde im Dritten Reich von der Gestapo für Verhöre und Folterungen benutzt. Über 120.000 Menschen wurden dort zwischen 1939 und 1944 grausam gequält und in vielen Fällen anschließend in den Vernichtungslagern ermordet. Leider kommen im Museum der brutale Terror sowie die Foltermethoden der Gestapo ein wenig zu kurz.

 

Keine Kunst, nur schöde Getränkereklame

Pawiak-Gefängnis

In der Aleje Solidarności

 

Etappe 2: Warschau – Tłuszcz – Węgrów – irgendwo bei Sokłów Podlaskie (94,15 km)

Wir haben keine Lust, uns durch das Warschauer Verkehrsgetümmel und gefährliche Ausfallstraßen zu quälen. Daher steigen wir am Bahnhof Warszawa Wileńska in einen Vorortzug und lassen uns für kleines Geld bis Tłuszcz kutschieren. Tłuszcz ist eine Kleinstadt im Warschauer Umland mit viel zu großem Bahnhof. Wir rätseln über den Namen, der übersetzt soviel wie „Fett“ bedeutet. Die Leute wirken jedoch nicht besonders fettleibig, aber vielleicht gab es hier einmal eine Fettfabrik. Wir radeln durch masowische Kleinstädte und Wälder. Die Gegend ist insgesamt flach und wenig aufregend.

Unterwegs im Osten von Masowien (Mazowsze)

Hier, östlich von Warschau, befinden wir uns mitten im ärmlichen Ostteil Polens. Gleiches gilt auch für die Hauptstadt selbst, doch in der modernistischen Wohlstandsinsel merkt man davon nichts. Zawiszyn, Rowiska, Katy oder Jaczew heissen die Dörfchen auf unserem Weg in die nächste Kleinstadt namens Węgrów.

Ein Räderwerk-Rad mit Geschichte

Węgrów hat immerhin 12.800 Einwohner und wirkt auf den ersten Blick wenig einladend. In der langsam einsetzenden Abenddämmerung wirken die grauen Wohnblocks besonders trist und abweisend. Um so größer unser Erstaunen, als wir den zentralen Marktplatz mit seiner schönen Kirche finden. Es gibt auch eine Pizzeria, in der wir uns das wohlverdiente Abendessen schmecken lassen.

Irgendwie hat man in Węgrów ein komisches Verhältnis zu Radfahrern. Schön, dass es jede Menge markierte Radwege gibt. Aber wohl nicht, um ihnen einen Gefallen zu tun, sondern eher, um sie von den Fahrbahnen fern zu halten. Jedenfalls findet das Zeichen „Verbot für Radverkehr“ fast inflationäre Verwendung.

Węgrów

Über die Fernstraße 52 radeln wir weiter bis Sokłów Podlaskie, wo wir ein Hotel oder ähnliches zu finden hoffen. Zum Glück ist der Verkehr überschaubar, so dass die letzten 20 Kilometer dieser Etappe schnell durchgeradelt sind.

Langsam wird es dunkel. Sokłów Podlaskie ist eine weitere Kleinstadt im östlichen Masowien. Auch hier gibt es eine markante Kirche und so etwas wie einen Ortskern. Dort gibt es eine Reihe von Geschäften und Restaurants, doch kein Hotel.

In Węgrów hat man ein komisches Verhältnis zum Fahrrad

Wir fragen ein paar junge Leute, die uns auf Englisch weiterhelfen. Doch das beschriebene Hotel existiert nicht mehr. Überhaupt gibt es keine der wenigen Unterkünfte, die auf der zentralen Infotafel vermerkt sind. An einer Gaststätte hängt ein Schild mit der Aufschrift „Nocelegi“ (Übernachtung). Innen ein dicklicher Wirt, der ein paar anderen dicklichen Leuten gerade dickliche Wurstsuppe serviert. Er möchte uns wohl nicht in seiner Hütte haben und schickt uns fort. Also bleibt uns keine Wahl: auf zum Wildcamp!

Wild zu campen ist kein Problem für uns, schließlich haben wir die komplette Zeltausrüstung dabei. Nur die Logistik ist ein wenig unkomfortabel, weil wir noch Essen und Getränke kaufen und mitschleppen müssen. Dann gilt es, einen geeigneten Platz zu finden. Ein paar Kilometer außerhalb der ungastlichen Stadt finden wir ein kleines Wäldchen, in dem wir unauffällig verschwinden. Wir schieben die Räder einige hundert Meter hinein und bauen im letzten Licht der Abenddämmerung das Zelt auf. Dann noch ein Bier und einen Wein, Kekse, Chips – wir schlummern ein.

Wildcamp hinter Sokłów Podlaskie

Asphalt Ahoi!

Blick über den Fluss Bug

 

Etappe 3: Sokłów Podlaskie – Drohycin – Siemiatycze – Hajnówka (109,25 km)

Warme Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch die Baumkronen zu unserem Zelt. Wir haben prima geschlafen und sind dem dicklichen Wirt von gestern Abend im Nachhinein sogar ein wenig dankbar für seine Ignoranz. Schließlich haben wir so ein paar Złoty gespart und zudem nachtschlafend die herrliche Waldluft genießen können.

Schnell bauen wir alles ab, verstauen unsere Siebensachen auf den Rädern und machen uns auf den Weg. Es ist ein herrlicher Tag. Die Sonne strahlt vom Himmel, als gäbe es kein Morgen. Hochsommer in Ostpolen.

Endlich in Podlachien (Podlaskie)

Wie gestern Abend sind wir mangels Alternativen noch auf der Fernstraße 52 unterwegs. Doch es gibt nur wenig Verkehr, der uns beim Radeln stört oder gefährdet. Selbst die wenigen LKW-Fahrer überholen uns andächtig und mit reichlich Abstand. Ein paar Kilometer vor Drohicyn überqueren wir den Bug und damit die Grenze zur Woiwodschaft Podlachien (Podlaskie).

Es rollt sich prächtig auf der 52 zwischen Drohycin und Siemiatycze

Wie in vielen anderen europäischen Ländern gibt es auch in Polen ein Ost-West-Gefälle. Während es den westlichen Landesteilen ökonomisch besser geht, ist der Osten dünner besiedelt, strukturschwächer und weniger entwickelt. Und je weiter man nach Osten kommt, desto höher ist der weißrussische Anteil der Bevölkerung. Ablesen lässt sich das an der Zunahme russisch-orthodoxer Kirchen.

In Siemiatyce schlagen wir uns die Bäuche voll. Wir haben nicht gefrühstückt und neigen daher zur kulinarischen Übertreibung. Je eine 50cm-Pizza wird geordert, aber leider nicht geschafft. Das 15.000-Einwohner-Städtchen macht einen aufgeräumten und überaus sympathischen Eindruck. Weniger sympathisch ist der lange Anstieg der Landstraße 693 aus dem Ort hinaus. Die Sonne brennt vom Himmel und unsere vollen Mägen scheinen zusätzlich zu bremsen.

Straße mit Radweg zwischen Kleszczele und Hajnówka

Weiter geht es über Backi Bliższe, Kajanka, Źercyce und Milejczyce nach Kleszczele, wo wir eine kleine Pause machen. Die Straßenverhältnisse sind sehr angenehm. Mit der Zeit werden auch die gelegentlichen Anstiege weniger. Ab Kleszczele werden wir dann sogar mit einem eigenen Radweg entlang der Straße 639 beglückt. Kurz vor Hajnowka noch eine letzte Rast in einem Örtchen namens Pasienczniki Duże, bevor die Unterkunftssuche beginnt.

Hajnówka ist mit über 21.000 Einwohnern schon so etwas wie eine Großstadt im äußersten Osten Polens. Und man mag kaum glauben, dass hier die polnische Bevölkerung in der Minderheit ist. Das Tor zum Nationalpark ist eindeutig weissrussisch geprägt.

Auch hier ist es nicht einfach, ein Hotel zu finden. Wildcampen ist eine weniger gute Idee, da die Stadt bereits von den Wäldern des Nationalparks umgeben ist, in denen Campen noch strenger verboten ist, als im übrigen Polen (in Polen gibt es kein Jedermannsrecht). Zum Glück werden wir fündig und kommen im letzten freien Zimmer eines Hotels namens Zajazd Wroła Lasu unter.

Hajnówka bietet eine sehr in interessante Optik. Viele Straßenzüge sind von bunten Holzhäusern geprägt, was sich positiv auf die Atmosphäre der Stadt auswirkt. Irgendwie wirkt alles gemütlich und gediegen. Eine Wohlfühlatmosphäre, die uns ganz auf die kommenden Tage im Nationalpark einstimmt.

Schräg gegenüber dem Hotel liegt ein Supermarkt in einem atmosphärisch weniger vorteilhaften Gebäude, das sicher noch aus sozialistischen Zeiten stammt. Wir versorgen uns mit dem Nötigsten, verziehen uns auf die Stube und machen es uns gemütlich.

Siemiatyce

Hajnówka

Hajnówka

 

Etappe 5: Hajnówka – Białowieża (46,02 km)

Die heutige Etappe ist kurz, nur knapp 30 Kilometer sind es von Hajnówka bis Białowieża. Verfahren können wir uns auch schlecht, denn es gibt nur eine einzige Straße nach Białowieża. Und die hat es in sich. Die Fernstraße 693 führt mitten durch die Urwälder des Nationalparks und ist nicht wenig befahren.

Und weil auch Polen schon längst vom PS-Wahn heimgesucht worden ist, heizt man auch gerne zügig durch den Wald. Das verursacht nicht nur jede Menge Lärm im Schutzgebiet, sondern ist auch sehr gefährlich für die Tiere des Waldes. Kein Scherz, aber die meisten Wildtiere haben wir nicht in den Tiefen der Wälder gesehen, sondern tot am Straßenrand der 693. Hier ist ein streng kontrolliertes Tempolimit dringend notwendig.

Unterwegs nach Białowieża

Trotz der kurzen Etappe legen wir auch hier eine Rast ein. Wir setzten uns auf den Sockel des Wisent-Denkmals, das zu Ehren der hier heimischen Wildrinder aufgestellt worden ist. Eine Horde wildgewordener Bremsen leistet uns dabei Gesellschaft, lässt sich aber von unserem Ballistol-Insektenspray wieder davon abbringen.

In Białowieża beziehen wir unser Zimmer, das wir für drei Übernachtungen gebucht haben. In aller Ruhe wollen wir den polnischen Teil der Puszca Białowieża erkunden, bevor es weiter nach Belarus geht.

Ärgernis: Die stark befahrene 689 mitten durch den Nationalpark

Białowieża liegt inmitten des gleichnamigen Nationalparks und ist mit gerade einmal 2.300 Einwohnern sehr überschaubar. Es geht viel gemütlicher zu, als wir erwartet hatten. Schließlich ist das Städtchen so etwas wie das touristische Zentrum des recht bekannten Nationalparks. Dominiert wird das touristische Geschehen vom wuchtigen Hotel Zubrowka, das wohl auch das teuerste am Platze ist. Davon abgesehen, gibt es nur noch kleine Privatpensionen, was dem gemütlichen Ortsbild sehr zuträglich ist.

Geschäfte und Restaurants gibt es jede Menge, auch ein Nationalparkmuseum sowie ein Schloss samt Schlosspark und See sind zu finden. Zusammen mit dem umgebenden Urwald kommt also so schnell keine Langeweile auf.

Białowieża

Der Białowieża-Nationalpark ist der letzte Flachland-Urwald Europas und wurde 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Vor mehreren Tausend Jahren war Europa großflächig von solchen Wäldern bedeckt. Heute sieht das dank exponentieller Flächenversiegelung durch Siedlungs- und Verkehrsstraßenbau leider anders aus. Der Nationalpark ist die Heimat des Wisents (Zubr), dem größten und schwersten Land-Säugetier Europas.

Unterhalten wird der Nationalpark kooperativ von den Ländern Polen und Weißrussland, wobei sich der größte Teil der 1.500 Quadratkilometer jenseits der weißrussischen Grenze befinden. Diese soll angeblich so gut gesichert sein, dass es nicht eimal den Wildtieren gelingen soll, die Seiten zu wechseln. Auch auf polnischer Seite kann nur ein kleiner Teil des Parks auf ausgewiesenen Wegen erkundet werden. Es gibt zudem ein strenges Schutzgebiet, in dem keinerlei menschliche Eingriffe in das natürliche Geschehen erfolgen.

Unterwegs in der Puszca Białowieża

Unerlässlich für jeden Besucher ist deshalb eine Karte des Geländes, in der Fuß- und Radrouten eingezeichnet sind. Diese ist für ein paar Zloty in der winzigen Tourismusinformation erhältlich, leistet aber nur bedingt gute Dienste, weil einige der eingezeichneten Weg offensichtlich nicht mehr existieren.

Ideales Fortbewegungsmittel im Park ist natürlich das Fahrrad. Die teilweise bis über 30 Kilometer langen Strecken sind für Fußmärsche einfach zu weit. In aller Regel ist die Bodenbeschaffenheit gut für einigermaßen komfortables Radeln. Ein wenig ärgerlich ist, dass die meisten der Routen keine Rundrouten sind und man sie irgendwann wieder doof zurückradeln muss.

Blick über das strenge Schutzgebiet

Putzen wird nötig…

 

Etappe 6: Białowieża – Grudki (Grenze) – Kamianiuki (Kaмянюki) (26,08 km)

Gleich nach dem Aufwachen ist uns mulmig. Heute geht es über die Grenze nach Belarus. Eine Grenze, über die wir schon allerlei Schlimmes gehört haben. Nicht direkt über diese Grenze hier im Nationalpark, sondern über Grenzen nach Weissrussland im Allgemeinen. Von schikanöser Behandlung durch unfreundliche Grenzer war immer wieder zu lesen. Von ewig langen Begutachtungsorgien der Pässe, von nicht enden wollenden Formularen und allerhand anderer Unfreundlichkeiten. Und dann erst die Grenzbeamten. Böse sollen sie sein, frustriert und argwöhnisch.

Und dann Weissrussland. Ein Hort der Diktatur, wo an jeder Ecke noch offen der alten Sowjetunion nachgetrauert wird und hundsgemeine Milizionäre jede noch so winzige Verfehlung mit härtesten Strafen ahnden. Ein Land des ewigen Gesterns, wo bittere Armut und Verzweiflung herrschen und nur an hohen Feiertagen gelacht werden darf. Alles geschürt vom allmächtigen Herrn Lukaschenko, dem Erzfeind aller europäischen Demokraten.

So jedenfalls lauten die gängigen Vorurteile, die hierzulande durch die Medien geistern. Wir geistern an diesem regnerischen Morgen durch unser Ferienhaus und packen die Räder.

Unser erster Kilometer auf weissrussischem Boden

Dann machen wir uns auf den Weg zur Grenze. Am Supermarkt zweigen in Richtung Ortsteil Podolany ab, dem letzten Außenposten der demokratischen Zivilisation. Danach führt ein trostloser Weg durch den Wald, der heute irgendwie traurig wirkt. Dann taucht vorne das markante Grenzhäuschen aus Holz auf. Dort endet Europa und beginnt Asien.

Es ist nichts los an der Grenze, wir sind die einzigen Lebensmüden. Wie von Geisterhand erhebt sich der Schlagbaum, dann rollen wir auf die polnische Ausreisestation zu. Alles geht ganz fix, denn natürlich kleben weissrussische Visa in unseren Pässen. Mit schlotternden Knien und voller Ehrfurcht rollen wir die wenigen Meter zum weissrussischen Häuschen. Ob wir das Niemandsland jemals wieder verlassen werden?

Schüchtern schieben wir unsere Räder zum weissrussischen Einreiseschalter. Ein Beamter sitzt hinter dem Glas und nimmt unsere Pässe entgegen. Er scannt die Visa ein und macht darauf aufmerksam, dass wir unsere Migrationskarten ausfüllen müssen. Er hilft uns sogar beim Ausfüllen und ist dabei – was wir überhaupt nicht erwartet haben – sehr freundlich.

in der Belovezhskaya Pushcha

Wir radeln weiter Richtung Kamianiuki (Kaмянюki), wo unser Hotel liegt und befinden uns immer noch im Białowieża-Nationalpark. Doch hier geht es viel ruhiger zu, als auf der polnischen Seite. Hier fahren kaum Autos, denn das ist nur mit Sondergenehmigung erlaubt. Die Wege sind viel schmaler und gleichen eher gut asphaltierten Radwegen.

Dann kommen uns Radler entgegen. Die ersten richtigen Menschen in Weissrussland. Und was tun sie? Sie winken uns freudig zu, wir winken fassungslos zurück.

Wir rollen genau von der richtigen Seite nach Kamianiuki (Kaмянюki)hinein. Während der Hauptteil des Städtchens etwas außerhalb liegt, befinden sich im Wald Restaurants, Hotels und das Wildgehege. Eigentlich gibt es dort nur ein Hotel, nämlich das Kamenyuki Hotel. Dieses besteht allerdings aus vier Häusern, die zum Teil recht weit voneinander entfernt stehen.

Das Magazin (Einkaufsladen) in Kamianiuki

Ängstlich betreten wir die Rezeption. Zwar haben wir vorgebucht, können aber kein Wort Russisch sprechen oder verstehen. Mit dem Reisewörterbuch pirsche ich mich an die Rezeptionistin heran und stammele aberwitzige Lautfolgen, die bedeuten sollen, dass wir eine Reservierung besitzen. Sie versteht nichts. Nicht einmal Bahnhof.

Doch man weiss sich zu helfen. Sie telefoniert eine Kollegin herbei, die ein wenig Englisch spricht. Und siehe da, ein wenig später beziehen wir unser äußerst geräumiges Zimmer, das noch im Sowjetstil eingerichtet ist. Wir fühlen uns sofort wohl. Und die Räder werden im Technikraum des Schwimmbades eingeschlossen.

Da geht′s lang!

Anschließend machen wir uns auf den Weg ins Städtchen. In einer Bank wechseln wir 300 Euro in mehrere Millionen weissrussische Rubel. Einen Teil dieser Reichtümer tauschen wir im örtlichen Magazin in Lebensmittel ein. Uns fällt auf, dass das Sortiment hier nicht so reichhaltig wie in Polen, dafür fast noch teurer als dort ist.

Zurück im Hotel machen wir es uns auf unserem Zimmer bequem und erholen uns von all den seelischen Strapazen des Tages. Aber: bisher haben wir noch keine einzige negative Erfahrung gemacht!

Der nächste Tag gehört ganz dem Wald. Und dieser hat auf der weissrussischen Seite viel mehr zu bieten, als auf der polnischen. Es gibt ein Netz an asphaltierten Waldwegen, auf denen sich ganze Themen-Rundrouten zusammenstellen lassen. Autoverkehr herrscht so gut wie keiner, da dafür eine Sondergenehmigung nötig ist. An vielen Stellen stehen Informationstafeln zu wichtigen und interessanten Dingen des Waldes – die meisten davon sogar mit englischem Text.

Kwas ist ein idealer Durstlöscher

Ansonsten empfanden wir diesen Teil des Urwaldes als den schönsten. Es macht einfach Spaß, mit dem Rad über die guten Wege zu fahren und die Natur zu genießen. Theoretisch kostet das Radeln im Nationalpark eine Gebühr. Diese ist an einem Kassenhäuschen vor dem Parkeingang abzudrücken. Ihre Höhe ist abhängig von der Größe der geplanten Runde. Zwar haben wir immer brav bezahlt (ist nicht teuer, nur wegen der Sprachprobleme etwas umständlich), kontrolliert wurde aber nie. Das System scheint auf Vertrauensbasis zu funktionieren.

Kilometer Belovezhskaya Pushcha, Tag 2: 35,73

 

Vorbildliche Ausschilderung im Park

Die Bärenkäfige im Wildgehege sind pure Tierquälerei

 

Etappe 7: Kamianiuki (Kaмянюki) – irgendwo bei Kobylovka (98,05 km)

Heute geht es weiter in Richtung Baranovichi. Erreichen werden wir die Großstadt natürlich nicht, also müssen wir später irgendwo im Wald übernachten. Unterkünfte sind in Weissrussland spärlich gestreut und zudem recht teuer. Auf dem platten Land gibt es praktisch keine Hotels. Und wenn, sind sie für Analphabeten wie uns nicht zu identifizieren.

Allerdings stimmt das mit dem Analphabetismus nicht so ganz. Wir haben uns im Laufe der Reise das kyrillische Alphabet eingeprägt und sind so in der Lage, all die Schilder mit den seltsamen Schriftzeichen zu lesen. Verstehen können wir sie deswegen noch lange nicht, aber es hilft ungemein, zum Beispiel bei Ortsangaben. Was man aussprechen kann, ist schon nicht mehr ganz so fremd.

Parkeingang in Bely Lesok (Белы Лясок)

Ein vorerst letztes Mal radeln wir durch den schönen Naturpark und durchqueren ihn auf der Überlandstraße P81 nach Osten. Diese dient hauptsächlich zu Versorgungszwecken und verbindet vor allem die Grenzstation mit dem Rest des Landes (ihr vorgelagert ist ein größeres Kasernengebäude für die Grenztruppen.)

Irgendwie haben wir das eigenartige Gefühl, mit dem Nationalpark einen geschützten Bereich zu verlassen und jetzt in das „wirkliche“ Weissrussland einzureisen. Nach etwa 30 Kilometern erreichen wir die Nationalparkgrenze bei Bely Lesok. Ein eisernes Tor versperrt die Fahrbahn. Wir können unsere Räder über einen kleinen Weg hinter dem Wachhäuschen vorbeischieben. Dann geht es hinein in die ungeschminkte weissrussische Realität. Optisch sieht alles so ähnlich aus, wie in Ostpolen.

Noch 28 Km bis Pruschany (ПРужаны)

Dann eine erste Hürde: Die P81 mündet auf eine große, neugebaute Straße, die in unserer Auflage des ADAC-Reiseführers noch nicht eingezeichnet ist. Ratlosigkeit. Nach rechts oder nach links? Hundert Meter hinter uns bemerken Straßenarbeiter unsere Verzweiflung. Sie kommen auf uns zu und wollen helfen. Gestikulierend zeigen wir auf unsere Karte und stammeln den Namen der nächsten größeren Ortschaft auf unserer Route. Man beschreibt uns den Weg, den wir auch ohne Russischkenntnisse gut verstehen. Ein erleichtertes „Spassiba“ (Danke), dann radeln wir weiter.

Die Straßenverhältnisse sind super und es herrscht kaum Verkehr. Das Radeln ist ein wahre Freude. In regelmäßigen Abständen gibt es Raststellen mit Tischen und Bänken, und die Bushaltestellen sind mit großen Mülleimern ausgestattet – in Deutschland keine Selbstverständlichkeit.

Pruschany (ПРужаны; 20.000 EW) ist die erste größere Stadt. Dass Pruschany besonders hübsch ist, kann man nicht behaupten. Außerdem treffen sich hier drei Überlandstraßen, was die Verkehrswege ein wenig voller macht. Weil wir nachher wild im Wald campen wollen, fahren wir einen kleinen Supermarkt an, um uns mit Proviant einzudecken. Die Regale im kleinen Laden sind gut gefüllt, vor allem die Auswahl an Bier und Wodka ist reichhaltig. Bezahlen kann man bequem bargeldlos, und zwar ohne Unterschrift und PIN. Die Kassiererin steckt einfach die Karte ins Terminal, zieht sie wieder raus, und das war′s.

Rasthäuschen an der P81 – sogar mit Fahrradhaltern!

Wir müssen nun mit der P85 vorlieb nehmen, die bestens ausgebaut ist. Kein Vergleich zu so mancher deutschen Buckelpiste. Meist gibt es einen kleinen Seitenstreifen, auf dem wir es uns gemütlich machen können. Das tut aber kaum Not, da die Fahrbahn sehr breit und der Verkehr recht überschaubar ist. Ab und zu gibt es sogar eine Radspur neben der Fahrbahn.

Anfangs führt die P85 auf einem Damm schnurstracks durch wohl sumpfige Wälder. Als die Sonne langsam untergeht, hört der Damm auf. Zeit für uns, langsam nach einer Schlafstelle Ausschau zu halten. Auf den ersten Blick keine schwere Aufgabe, da links und rechts nur Wald wuchert. Der Teufel liegt auch hier wie so oft im Detail. Und diese Details treten in Form von Warnschildern auf Schlagbäumen auf, die an jedem kleinen Stichweg in den Wald stehen.

Da wartet man doch gerne auf den Bus

Sie sehen ungemein wichtig aus. Unser Reiseführer sagt uns, dass das fett gedruckte Hauptwort tatsächlich „verboten!“ heisst. Doch was ist hier verboten? Feuer machen? Bäume fällen? Pilze sammeln? Ein Zelt aufschlagen und übernachten? Letzteres wohl eher weniger.

Wir haben keine Wahl. Wir warten einen Moment ab, bis kein Auto mehr zu sehen ist. Dann schlagen wir uns in den Wald und schieben die Räder zweihundert Meter weit hinein. Zur Sicherheit verlassen wir den Waldweg und kämpfen uns soweit durchs Gestrüpp, bis uns kein noch so zufälliger Passant mehr sehen kann.

In der Dämmerung bauen wir das Zelt auf und machen es uns gemütlich. Noch ein Schlummerwein und ein Betthupferl, dann schlafen wir friedlich dem nächsten Morgen entgegen.

So gefährlich ist die P85 nun auch wieder nicht

…wie man sieht

WWW: Wildcamp, Wald, Weissrussland

 

Etappe 8: irgendwo bei Kobylovka – Baranawitschy (Бapaнaвiчi) (109,67 km)

Mit den ersten Sonnenstrahlen werden wir wach. Schnell bauen wir unser Gerödel ab und kämpfen uns durchs Gestrüpp zum Asphaltband der P85 vor. Es folgt wieder die Routine der Tretmühle: treten, treten, treten. Rużany (Ружаны) heisst die nächste größere Siedlung, durch die wir rollen. Das Städtchen macht einen netten Eindruck, einige Häuserzeilen wirken schon fast gutbürgerlich.

Rużany (Ружаны)

Danach wieder das übliche Kilometerfressen, bis wir mit Slonim (Слонiм)eine erste mittelgroße Stadt erreichen (50.000 EW). Viel bekommen wir vom Verwaltungszentrum des gleichnamigen Rajons (Landkreis) allerdings nicht zu sehen, weil wir auf eine Umgehungsstraße ausweichen, kurz bevor die Stadt beginnt.

Es wird hügelig. Passend dazu geht Claudias Vorderreifen die Puste aus, was eine kleine Reparaturpause nötig macht. Der Verkehr wird hier zunehmend dichter, ist aber noch gut zu ertragen. Auch die LKW-Fahrer überholen in aller Regel mit reichlich Abstand. Weiter geht es auf der P99, wo das erste Mal Minsk ausgeschildert ist.

Das erste Mal „Minsk“ auf dem Schild

Zehn Kilometer vor Baranawitschy wird es ungemütlich. Genau an der Stelle, wo die stark befahrene P99 in die noch stärker befahrene P2 einmündet, behindert eine Baustelle den Verkehr. Die LKW stauen sich in langen Schlangen. Wir haben unsere liebe Mühe, eine Lücke zu finden und uns einzufädeln.

Ortsschild

Eine Viertelstunde später rollen wir durch die Vororte von Baranawitschy. Mit knapp 170.000 Einwohnern haben wir es hier mit einer echten weissrussischen Großstadt zu tun. Unser Ziel ist das Hotel „Horizont“ im Zentrum. Leider haben wir keinen Stadtplan und müssen uns mal wieder intuitiv orientieren. Zum Glück ist unser Orientierungssinn noch nicht durch den Gebrauch von Navis zerstört. Und auch das Bauchgefühl ist ein wichtiger Tippgeber auf einer Radreise. So gelingt es uns tatsächlich, das Hotel Horizont zu finden, ohne uns ein einziges Mal zu verfahren.

Unterwegs

Das Hotel ist ein Plattenbau aus sowjetischer Zeit und verströmt auch in seinem Inneren diesen irgendwie sympathischen Charme. An der Rezeption erwarten uns dann wieder die üblichen Sprachprobleme. Ich stammele der Angestellten eine unaussprechliche Lautkombination aus meinem Sprachführer entgegen. Doch die junge Frau ist auf der Höhe der Zeit. Sogar höher als wir, denn sie ist uns technologisch voraus: sie besitzt ein Smartphone mit Übersetzungsprogramm.

Бapaнaвiчi

Und so spricht sie auf Russisch in das Gerät, das uns die Übersetzung auf Deutsch anzeigt. Ein Wunder der Technik. Aber so klappt die Zimmerbuchung reibungslos. Kurz darauf beziehen wir unser Zimmer im siebten Stock und haben eine wunderbare Aussicht über die Stadt.

Бapaнaвiчi

 

 

Etappe 9: Baranawitschy (Бapaнaвiчi) – nördlich von Stoubcy (Стоубчы) (89,01 km)

In Baranawitschy herrscht eine angenehme Atmosphäre. Das Zentrum ist überschaubar, obwohl die Stadt mit ihren 170.000 Einwohnern recht groß ist. In einem Buchladen versorgen wir uns mit dringend benötigtem Kartenmaterial, da die ADAC-Autokarte einfach zu schlecht und zudem Teufelszeug ist. Schließlich ist der ADAC als Autler-Club der natürliche Feind aller Radfahrer.

Gut ausgerüstet machen wir uns auf den Weg. Aus Baranawitschy rauszufinden ist nicht besonders schwer. Es geht weiter über die P2, die gleich am Ortsausgang sogar einen begleitenden Rad- und Fußweg besitzt. Dieser verschwindet aber, so schnell er aufgetaucht ist. Es sind etwa sechzig Kilometer bis zur nächsten größeren Stadt namens Stoubcy. Der Verkehr ist moderat und es würde sich sehr entspannt radeln, wäre die Gegend nicht so hügelig.

Sogar ein Fuß- und Radweg hinter Baranawirtschy

Im einzigen Reiseführer, den es bislang zu Weissrussland gibt (Nigel Roberts: Belarus; Bradt Travel Guide, 3.Auflage, 2015; 28,18 Euro), heißt es, das Land sei ziemlich flach. Das mag einem vielleicht so erscheinen, wenn man wie Herr Roberts nur mit Auto und Zug unterwegs ist. Wäre er Rad gefahren, hätte er die Topographie sicher anders eingeschätzt. Die P2 jedenfalls gleicht hier einem Wellenband mit teils recht langen und nicht zu unterschätzenden Anstiegen.

Der Himmel hat sich ein wenig zugezogen. Aber es bleibt trocken und relativ warm. Da wir auch heute Abend im Freien schlafen müssen, ist das Wetter schon von gewisser Bedeutung.

Zwischen Baranawitschy und Stoubcy wird es hüglig

Kurz vor Stoubcy überqueren wir die Memel, die hier noch ein kleines Flüsschen ist, das gemütlich durch sumpfige Wiesen mäandert. Stoubcy (Стоубчы) macht keinen besonders einladenden Eindruck. Im ersten Lebensmittelladen versorgen wir uns mit Speisen und Getränken für den Abend. Dabei erwecken wir das Interesse der Kassiererin, der wir mit Händen und Füßen erklären, dass wir wild campen müssen. Wir sind sicher, dass sie uns zum Übernachten zu sich nach Hause einladen wollte, hätten wir sie verstanden.

Die Memel ist in Stoubcy noch ein kleines Flüsschen

Die Dämmerung setzt ein und die Wolken machen Platz für eine goldene Abendsonne. Wir lassen Stoubcy hinter uns und halten Ausschau nach einer geeigneten Stelle für ein Wildcamp. Tief in einem Wald, der mehrere Kilometer von den nächsten Ortschaften entfernt liegt, nisten wir uns ein.

Das Zelt bauen wir gut geschützt zwischen Hecken und Bäumen auf, so dass es erst zu sehen ist, wenn man kurz davor steht. Eine Mühe die Sinn macht, denn wie wir am nächsten Morgen noch sehen werden, sammelt man auch in Weissrussland gerne Pilze tief im Wald.

Bei Краснагоркi

Landstraße

Wildcamp nördlich von Stoubcy (Стоубчы)

 

Etappe 10: Nördlich von Stoubcy (Стоубчы) – Dzyarzhynsk (Дзяpжынcк – Minsk (Miнск) (75,30 km)

Tief im Wald lässt sich bestens schlafen. Am Morgen fallen Sonnenstrahlen durch die Baumkronen und lassen erahnen, dass uns Kaiserwetter verwöhnen wird. Wir bauen das Zelt ab und packen unser Gerödel zusammen, was jedes Mal eine knappe Stunde dauert. Dann schieben wir unsere Räder aus dem Wald heraus und hören dabei Stimmen. Leute sind in unserer Nähe. Wir wundern uns, was sie frühmorgens in den Wald treibt.

Am Straßenrand parken Autos. Wir schwingen uns auf die Räder und fahren los. Wir sehen, wie weitere Autos am Straßenrand geparkt werden. Leute steigen aus, bewaffnet mit Weidenkörbchen. Dann dämmert uns, dass man auch hier Pilze sammelt. Gut, dass wir unser Zelt so tief und versteckt im Wald aufgestellt haben. Nach all unseren Informationen ist wildes Campen nicht verboten und dürfte die Leute auch nicht besonders interessieren. Aber als morgenmuffelige Westler haben wir nicht unbedingt Lust auf Kauderwelsch-Konversationen am Morgen.

Kaiserwetter

Das Wetter zeigt sich von seiner allerbesten Seite. Die Sonne lacht aus einem blauen Himmel. In bester Laune radeln wir durch eine Region, in der sich Wälder mit größeren Agrarflächen abwechseln. Auch hier ist es recht hügelig mit zuweilen kräftezehrenden Anstiegen. Es geht durch kleine, verschlafene Ortschaften mit ihren typischen bunten Holzhäusern.

Hügelige Gegend bei Рубяжзвiуы

Mit Dzyarzhynsk (Дзяpжынcк, 25.000 EW) radeln wir mal wieder durch eine etwas größere Stadt. Die Stadt wirkt mit modernen Neubausiedlungen und einem gepflegten Zentrum recht angenehm und aufgeräumt. Im Süden verlaufen mit der M1 und der P1 die wichtigsten Verkehrswege des Landes. Letztere soll uns nach Minsk bringen, eine Alternative scheint es nicht zu geben. Uns ist mal wieder etwas mulmig, weil die P1 in unserer Landkarte als Autobahn markiert ist.

Рубяжзвiуы

Wir müssen ein wenig suchen, um den Zubringer zur P1 nach Minsk zu finden. Dann radeln wir auf dem Seitenstreifen einer mehrspurigen Straße, die uns nach wenigen Kilometern auf die „richtige“ P1 entlässt. Und tatsächlich: die P1 ist hier eine sechsspurige Autobahn mit jeder Menge Verkehr. Ob dort auch Radverkehr erlaubt ist, wissen wir nicht.

Mangels einer Alternative radeln wir weiter. Verbotsschilder haben wir keine gesehen, auch keine Autobahnschilder. Schließlich kann eine Landstraße auch sechsspurig sein, ohne als Autobahn zu gelten. Und so fahren wir auf dem breiten Seitenstreifen auf Minsk zu und hoffen, dass uns keine Polizei anhalten und mit drakonischen Bußgeldern belegen möge. In Fanipal (Фнiпаль) machen wir eine erste Frühstücksrast. Vor ein paar Wohnblocks hocken wir uns einfach ins Gras einer Wiese und lassen es uns schmecken. Wieder zurück auf der P1 sehen wir schließlich noch zwei andere Radler, offensichtlich Einheimische. Es scheint also tatsächlich nicht verboten zu sein, was wir hier tun.

Dzyarzhynsk

Und dann taucht plötzlich Minsk auf. Die Stadt beginnt nicht langsam und schleichend, wie etwa Hamburg oder Berlin. Nein, Minsk beginnt schlagartig. Mit einem Male erscheint am Ende der Ackerflächen eine riesige Häuserwand. Einfach so, fast wie aus dem Nichts.

Radeln auf der Autobahn (war nicht verboten, war auch keine Autobahn)

Doch es ist für uns nicht ungefährlich, dort hineinzukommen. Wir müssen vom sicheren Seitenstreifen auf eine der mittleren Spuren wechseln, während die Autos noch mit Autobahntempo rasen. Wir überleben das waghalsige Manöver. Hinter der Häuserwand schließlich beginnt dann ein gut ausgebauter Radweg.

Die Randgebiete der Millionenstadt präsentieren sich ausgesprochen modern. Hier steht ein futuristischer Bau neben dem nächsten, alles wirkt luftig und sehr aufgelockert. Minsk ist eine Flächenstadt par excellence. Trotzdem tauchen hie und da noch traditionelle Holzhäuschen auf, was einen schönen Kontrast zu den Stahlbetonriesen ergibt.

Minsk voraus

Minsk hat knapp zwei Millionen Einwohner und ist damit die größte Stadt Weißrusslands. Uns so dauert es eine Weile, bis wir im Zentrum ankommen. Obwohl wir keinen Stadtplan besitzen, fällt uns die Orientierung nicht schwer. Die Ein- und Ausfallstraßen verlassen das Zentrum sternförmig, so dass wir einfach nur geradeaus radeln müssen.

Nach einer knappen Stunde stehen wir schließlich vor der Kathedrale der heiligen Jungfrau Maria in der Minsker Altstadt. Nun müssen wir nur noch das Hotel „Planeta“ finden, das einen Kilometer weiter in östlicher Richtung liegt. Auch das ist kein Problem für uns.

Ortseingang Minsk

An unserem ersten Abend in Minsk flanieren wir durch die Parkanlage an der Swislatsch. Autos gibt es hier keine, dafür einen schönen Radweg entlang des Flusses. Keine Frage, in Minsk hat man hat man den zentralen Fluss nicht mit lärmigen Straßen umringt, sondern zu einem lauschigen Naherholungsgebiet gemacht.

Gefährliches Radeln in die Stadt hinein

 

Vier Tage Minsk

Kilometer Minsk, Tag 2: 12,80
Kilometer Minsk, Tag 3: 14,14

Ganze vier Tage gönnen wir uns für die Hauptstadt Weissrusslands. Und das ist eher das Minimum, denn Minsk regt an und fasziniert. Minsk ist die ideale Stadt zum Flanieren. Sie überrascht den Besucher fast hinter jeder Ecke mit neuen Perspektiven und Ausblicken, mit überwältigenden Straßenfluchten und Prunkbauten. Im Zentrum bilden stalinistischer Zuckerbäckerstil, klassische Moderne und zeitgenössische Architektur einen unvergleichlichen Stilmix.

Regierungspalast am Unabhängigkeitsplatz

In Minsk lässt sich gut mit dem Fahrrad fahren. Aber es will idealer Weise zu Fuß entdeckt werden. Als Reisevorbereitung diente uns das Buch „Minsk – Sonnenstadt der Träume“ von Artur Klinaú (Edition Surhkamp, 2006), der seine Kindheit in Minsk zu Sowjetzeiten verbracht hat. Seine angstbesetzten Beschreibungen der sowjetischen Stadtplanung mit ihren Prachtstraßen und Prachtgebäuden werden dem Bild der Stadt allerdings kaum gerecht.

Straße der Unabhängigkeit (Prospekt Nyezalyezhnastsi)

So empfindet er etwa den Leninplatz (heute Unabhängigkeitsplatz) als gigantisch und sieht im Regierungspalast den „Suprematismus der Macht, die alles über Sie weiß.“ Und weiter: „Selbst wenn Sie nur ein unverhoffter Passant sind, der sich zufällig in die Sonnenstadt verirrt hat. Die Geometrie des Palasts wird von einem schwarzen Lenindenkmal vollendet. Lenin schaut über den Platz, dorthin, wo die winzigen Passanten vorübergehen. Auf diesem Teil des Platzes sind nur wenige Menschen, hier gibt es keinen Ort, zu dem sie unterwegs sein könnten.“ (S. 32)

Woran mag es wohl liegen, dass wir den heutigen Unabhängigkeitsplatz mit seiner beeindruckenden Architektur als äußerst gelungenes städtebauliches Ensemble empfinden?

Alt- und Neustadt: An der Heiliggeist-Kathedrale

Auf jeden Fall begeistert uns Minsk auf ganzer Breite. Und nicht nur die Stadt, sondern auch ihre Menschen. Beispiele gefällig? Nummer eins: Claudia möchte Postkarten verschicken und weiß nicht, welche Briefmarken dafür nötig sind. Sie betritt den Postpalast am Unabhängigkeitsplatz und findet sich in einem riesigen Raum mit Schaltern wieder. Orientierungslos hält sie einer Angestellten die Briefe vor die Augen und macht deutlich, dass sie Briefmarken braucht. Kurzerhand öffnet man nur für sie einen Schalter und bedient sie. Man freut sich offensichtlich, einer Ausländerin helfen zu können.

Torhäuser am Bahnhofsplatz

Nummer zwei: Wir wollen herausbekommen, ob man in Überlandzügen Fahrräder mitnehmen kann. Doch am Schalter im Hauptbahnhof spricht man kein Englisch. Eine wartende junge Frau, die Englisch spricht, sieht das Desaster, eilt herbei und übersetzt spontan.

Siegesplatz mit Siegessäule

Nur zwei Beispiele für die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen im Weissrussland. Wir wundern uns, weshalb Nigel Roberts selbst in der 2015er Ausgabe seines Reiseführers zwischen und in den Zeilen immer wieder anderes behauptet.

An der Swislotsch

Oktoberplatz mit Palast der Republik

Was angucken?

  • Unabhängigkeitsplatz: Der ehemalige Leninplatz ist der größte Platz der Stadt. Hier befinden sich der Regierungspalast mit Lenindenkmal, der Postpalast, die Universität, die Kirche St. Simeon und St. Helena sowie die Stadtverwaltung. Zwischen diesen Gebäuden lässt sich in einem unterirdischen Einkaufszentrum gut shoppen.
  • Unabhängigkeits-Boulevard: Die zentrale Prachtstraße der Stadt verläuft vom Unabhängigkeitsplatz bis zum Siegesplatz. Hier befinden sich die wichtigsten repräsentativen Bauten, wie etwa die KGB-Zentrale, das Kaufhaus GUM oder der Palast der Republik.
  • Torhäuser am Bahnhofsplatz: Wer den Minsker Hauptbahnhof verlässt, blickt unweigerlich auf die beiden Türme der Torbauten, die im schönstem Zuckerbäckerstil erstrahlen.
  • Oktoberplatz (Oktyabrskaya): Dieser weite Platz beherbergt den Kulturpalast (erbaut 1954), das Museum für Kriegsgeschichte sowie an seinem Südende die Zentrale der Kommunistischen Partei.
  • Siegesplatz: Auf dem Platz am Nordende des Unabhängigkeits-Boulevards steht ein 40 Meter hoher Obelisk zum Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg.
  • Altstadt / Oberstadt: In der weitgehend rekonstruierten Altstadt von Minsk stehen die orthodoxe Heiliggeistkathedrale sowie die katholische Kathedrale der heiligen Jungfrau Maria. In den gemütlichen Gässchen gibt es zudem viele Restaurants und Bierkneipen.
  • Parks an der Swislotsch: Der zentrale Fluss der Stadt ist umringt von Parkanlagen. Auf der Südseite gibt es einen gut ausgebauten Radweg, der von den Minskern ausgiebig genutzt wird. Am westlichen Ende, unweit des Siegesparks, gibt es einen kleinen Fahrradverleih mit Bierausschank, der zu einer Art „Stammkneipe“ von uns wurde.

 

 

Minsk (Miнск) – Brest (Бpзст) (Zugfahrt, 6,77 km)

Zwar waren Diskussionen nötig, aber wir haben uns entschieden. Wer uns kennt weiß, dass wir Reisen nur grob planen und vor Ort mehr oder weniger spontan entscheiden, wie es weitergehen soll. Und so war es auch mit unserem Besuch in Brest. Zurück nach Kamianiuki zu radeln, kam nicht in Frage. Wir hätten die selbe Strecke fahren müssen, nur eben in umgekehrter Richtung. Aber auch Brest wollten wir nicht mit dem Fahrrad bereisen, weil es zuviel Zeit gekostet hätte.

Unser Zug aus Minsk im Brester Bahnhof

Also haben wir uns und unsere Räder in einen Zug verfrachtet und sind so nach Brest gekommen. Was so einfach klingt, hatte jedoch ein längeres Vorspiel. Denn wie soll man ohne Sprachkenntnisse rauskriegen, ob und wie man in Weissrussland Räder in Zügen transportieren kann. Man kann, wie wir dank der ausgesprochen kompetenten, ausführlichen und freundlichen Beratung in der Minsker Touristeninformation erfahren haben.

Bahnhofsgebäude von Brest (Бpзст)

Ja, Minsk hat tatsächlich eine Touristeninformation. Sie liegt ein wenig abseits in irgendeiner Nebenstraße und ist nicht allzu leicht zu finden. Was wohl auch damit zu tun hat, dass Minsk nicht gerade ein Hotspot des internationalern Tourismus ist. Dafür haben sich jungen Damen in diesem Büro jede erdenklich Mühe gegeben, uns zu beraten. Man hat mit der Staatsbahn telefoniert, uns Fahrpläne ausgedruckt und übersetzt (auf Englisch) und sogar ein kleines Zettelchen beschrieben, das wir am Fahrkartenschalter vorlegen konnten, um Tickets für uns und unsere Räder zu kaufen.

Gedenkstätte der Brester Festung

Das hat alles problemlos funktioniert. Mit der Radmitnahme in Weissrussland verhält es sich so: Fernzüge, die im Minsker Hauptbahnhof abfahren, nehmen Räder nur als kompliziert zu verpackendes Gepäck mit. Anders sieht es mit den Regionalzügen aus, die meist nicht vom Hauptbahnhof abfahren. Unser Zug nach Brest fuhr vom Bahnhof am Kulturinstitut ab und brauchte ganze sieben Stunden für die 300 Kilometer lange Strecke. In den Abteilen dieser Züge ist jeweils hinter den ersten und letzten Sitzbänken Platz für Gepäck oder eben Fahrräder.

Soviel zum Vorspiel. Jetzt stehen wir im ziemlich großen Bahnhof von Brest. Er gliedert sich in zwei Hauptbereiche. Einer ist für inländische Bahnverbindungen zuständig, der andere für den Transitverkehr zwischen Warschau und Moskau. Unser Hotel liegt ganz in der Nähe, so dass wir nur zwei Kilometer zu radeln haben. Nach den Stunden im Zug muss man sich ja nicht noch sportlich verausgaben.

Schmiedefiguren in der Brester Innenstadt

Das Hotel „Bug“ ist nach dem Grenzfluss benannt, der ganz in der Nähe Polen von Weissrussland trennt. Das Einchecken gestaltet sich problemlos, sogar unsere Räder kommen in einem kleinen Kämmerchen sicher unter. Im Flur der zweiten Etage begrüßt uns eine große Leninbüste, und auch unser geräumiges Zimmer mit Vorraum verströmt alten Sowjetcharme. Kurz, wir fühlen uns wohl im Hotel Bug.

Fußgägngerzone, Brester Innenstadt

Brest dagegen kann uns insgesamt nicht überzeugen. Die Stadt mit ihren 310.000 Einwohnern wirkt zwar sauber und aufgeräumt, aber das eben einen Tick zu viel. Im Zentrum gibt es eine neu gestaltete Fußgängerzone mit Geschäften und Restaurants. Zwar fehlen die sonst allgegenwärtigen Filialisten, doch davon einmal abgesehen, spielt man hier westliche Kommerzkultur nach. Zu sehen gibt es nicht viel außer gepflegter Langeweile.

Dabei hat man sich durchaus Mühe gegeben. Einige Straßenzüge sind liebevoll mit schmiedeeisernen Figuren verziert. Wie fast überall in Weissrussland verschönern auch hier gepflegte Blumenrabatten das Stadtbild. Doch das war es dann auch schon. Wir sind froh, dass wir nur zwei Tage hierbleiben.

Fußgägngerzone, Brester Innenstadt

Die eigentliche Attraktion Brests liegt zwei Kilometer außerhalb der Stadt (ist aber trotzdem bestens zu Fuß zu erreichen). Es ist die Gedenkstätte der Brester Festung, die während des Angriffs auf die Sowjetunion durch deutsche Wehrmacht hart umkämpft war. Damals harrte zuletzt eine nur noch kleine Anzahl an Soldaten in der Festung aus und leistete den überlegenen deutschen Truppen erbittert Widerstand, während Wasser und Lebensmittel knapp wurden.

Auf dem weitläufigen Gelände sind riesige Skulpturen in den Fels und die Reste der Festung gehauen. Eine 40 Meter hohe Stele erinnert an die Gefallenen des Krieges. Außerdem befinden sich dort noch ein Museum sowie eine orthodoxe Kirchen. Der Eintritt ist frei.

 

 

Etappe 11: Brest (Бpзст) – Kamianiuki (Kaмянюki) – Hajnówka – Orzeszkowo (105,20 km)

Nachdem uns Brest nicht so sehr in seinen Bann ziehen konnte, fällt uns auch der Abschied nicht so schwer. Bei der Abfahrt vom Hotel Bug ist uns noch nicht so richtig bewusst, dass es heute wieder zurück nach Polen geht. Leider haben wir nicht ewig frei und müssen uns auch mal wieder auf die Rücktour machen. Doch die dauert noch ein bisschen – so eilig haben wir es mit dem Heimkommen auch wieder nicht.

Aus Brest finden wir problemlos heraus. Und genauso problemlos erreichen wir über einen fetten Kreisverkehr die P83, die uns schnurstracks zurück in den Belovezhskaya Nationalpark bringen wird. Dann soll es über die lauschigen Waldwege zur Grenze und weiter durch Hajnówka bis Orzeszkowo gehen, wo wir ein Zimmerchen in einer Privatunterkunft gebucht haben.

Radspur an der P83

Der Wettergott jedenfalls scheint es gut mit uns zu meinen, denn die Sonne brennt aus Leibeskräften vom Himmel. Es ist nicht nur war, sondern richtiggehend heiß. Bis zum Mittag steigt die Temperatur locker über 40 Grad, was uns Hitzefetischisten sehr gefällt.

Die P83 hat bis Kamianiuki nicht viel Aufregendes zu bieten. Es geht durch Felder und Wälder, ab und an mal durch eine laue Ortschaft. Der Verkehr ist moderat und nimmt ab, je näher wir dem Nationalpark kommen. Irgendwann zeigen zwei weiße Hirschskulpturen links und rechts der Straße, dass wir uns im Gebiet des Nationalparks befinden. Dann noch ein paar Kilometer und wir rollen nach Kamieniuki ein. Diesmal von der anderen Seite.

Noch 18 Kilometer bis zur Belovezhskaya Pushcha

Unser erster Stop ist das Magazin. Wir haben noch Weissrussische Rubel, die wir a) nicht ausführen dürfen, und mit denen wir b) ohnehin sonst nichts mehr anfangen können. Also tauschen wir sie in zwei formschöne Wodkaflaschen und in etwas Mineralwasser um. Dann trinken wir im Cafe Sosni noch ein letztes frischgezapftes weissrussisches Bier und machen uns auf zur Grenze.

Ein letztes Bier in Weissrussland im Cafe Sosni

Auch vor diesem Grenzübertritt ist uns mal wieder etwas mulmig. Dabei sollten wir es wegen unserer durchgehend guten Erfahrungen selbst mit belarussischen Amtsträgern eigentlich besser wissen. Aber wir sind uns nicht ganz sicher, ob unsere Migrationskarte genügend Registrierungsstempel aufweist. Jedes Hotel drückt einen solchen in die Karte hinein, aber unsere Wildcamps in der Pampa sind natürlich stempellos geblieben.

Auch dieses Mal sind wir wieder die Einzigen Reisenden an der Grenze. Man öffnet uns den Schlagbaum und wir treten vor den Schalter. Heute hat eine attraktive junge Frau Dienst. Gut gelaunt erledigt sie die Formalitäten. Könnten wir Russisch, würden wir jetzt einen kleinen Plausch mit ihr halten. Die Ausreise klappt problemlos. Das Letzte, das wir in Weissrussland sehen, ist das nette Lächeln der Grenzbeamtin.

Dortt geht′s zu den einzelnen Hausnummern

Was nun folgt, kennen wir schon. Wir radeln durch Białowieża, dann durch den Wald, dann durch Hajnówka, dann etwas die Landstraße entlang bis Orzeszkowo. Die einzelnen Ortsteile der Ortschaft sind großflächig in der Gegend verstreut, was die Suche nach unserer Unterkunft etwas erschwert.

Doch die Mühe lohnt sich. Die Pension Uroczysko Sosnówka liegt direkt am Waldrand und ist liebevoll eingerichtet. Wisente und andere Wildtiere sollen hier des Öfteren zu Besuch kommen, erzählt uns die Besitzerin. Ihr Mann, offenbar ein begabter Schreiner, hat nebenan ein „Hexenhäuschen“ als Attraktion für Kinder und Erwachsene gebaut. Schade, dass wir nur für eine Nacht bleiben. Die Pension Uroczysko Sosnówka ist eine ideale Alternative zu den Unterkünften in Białowieża.

Im Hexenhäuschen

 

 

Etappe 12Orzeszkowo – Wóla Nadbużna (77,21 km)

Auch die heutige Etappe kennen wir schon zu 99,5 Prozent. Wie auf der Hinfahrt radeln wir wieder entlang der angenehmen 693 von Orzeszkowo bis Siemiatyce. Weil wir uns noch das Hexenhäuschen des Pensionswirtes angucken und es ohnehin nicht sonderlich eilig haben, radeln wir erst am späten Vormittag los.

Das Wetter zeigt sich von seiner allerbesten Seite. Die Sonne scheint lustig vom Himmel und verwöhnt uns mit schweisstreibenden Temperaturen. „Erbarmungslose Hitze“ würden das die meisten anderen Leute nennen, wir aber lassen uns gerne beim Radeln grillen.

Unsere heutige Unterkunft kann leider nicht mit der Pension Uroczysko Sosnówka mithalten. Wir nächtigen in einer schäbigen Holzhütte auf einem Campingplatz, der in Wóla Nadbużna, etwas südlich von Siemiatycze, in der Nähe des Bug liegt. Die ganze Nacht über sind wir Sorge, von Spinnen und ähnlichem Getier heimlich ausgesaugt zu werden.

Unterwegs in der Nachmittagshitze

 

Etappe 13: Wóla Nadbużna – Siedlce _ Zugfahrt_Warszawa (61,55 km)

Wir haben die Nacht ohne insektoide Angriffe überstanden. Schnell packen wir unsere Sachen und fahren los. Heute wollen wir bis nach Warschau kommen. Weil das von hier aus etwas über einhundert Kilometer sind, radeln wir nur bis Siedlce und nehmen dort den Zug. Etwas unsportlich, aber wir haben wenig Lust, uns durch das Verkehrsgetümmel der Warschauer Einfallstraßen zu quälen.

Radeln auf Nebenwegen

In Wóla Nadbużna scheint man es mit der öffentlichen Sauberkeit nicht allzu ernst zu nehmen. Überall an den Straßenrändern liegt Müll herum, ein starker Kontrast zum sauberen Weißrussland. Polen ist eben schon im Westen angekommen.

Wir überqueren den Bug und verlassen Podlachien. Ab sofort kurven wir durch Masowien, und das auf kleinen Nebenwegen. Die Landschaft ist hier weitgehend ländlich geprägt und wird, je näher wir Siedlce kommen, immer flacher und optisch eintöniger. Keine Gegend, die man unbedingt mit dem Fahrrad durchfahren haben muss.

..auch mal ohne Asphalt

Auch Siedlce wirkt gesichtslos und fade. Aber immerhin schaffen wir es, den Bahnhof zu finden. Das ist angesichts der spärlichen Beschilderung keine Selbstverständlichkeit. Im Bahnhof wartet bereits ein moderner Nahverkehrszug, der an S-Bahnen erinnert. Für Fahrräder gibt es großzügigen Platz, so dass wir die masowische Landschaft entspannt an uns vorbei ziehen lassen können.

Unaufgeregte Landschaften

Dabei stellen wir erleichtert fest, dass wir durch die Zugfahrt nichts verpasst haben. Die Landschaft zwischen Siedlce und Warschau ist ebenfalls langweilig, eintönig und wenig sehenswert.

In Warschau beziehen wir unser modernes Appartement, das ganz in der Nähe des verrufenen Westbahnhofs (Warszawa Ochota) im hypermodernen Stadtteil Cyste liegt.

Zurück in Warschau

 

 

Nochmal drei Tage Warschau

Kilometer Warschau, Tag 1: 26,60
Kilometer Warschau, Tag 3: 19,80
Kilometer Warschau, Tag 3: 16,70

Lieber länger in Warschau oder länger in Berlin bleiben? Natürlich länger in Warschau! Das ist Ausland, angenehmes Ausland, nämlich Polen. Und so verbringen wir noch ganze drei Tage in der polnischen Hauptstadt, bevor es wieder zurück ins Merkelland geht. Nun kennen wir Warschau mittlerweile recht gut, was uns ein wenig Stress nimmt. Denn jetzt können wir ohne ein schlechtes Gewissen zu haben auch mal nur Bummeln. Der Druck ist nicht mehr da, die knappe Zeit mit Besuchen sinnvoller Sehenswürdigkeiten auszufüllen.

Abends am Multimediabrunnen

Auch sitzen wir gerne in unserer „Stammkneipe“ in der Nähe des Schlossplatzes, wo das Bier besonders günstig ist. Hier kennt man uns mittlerweile schon recht gut. Trotzdem stehen noch ein paar Attraktionen auf unserer Besuchsliste. Da wäre zunächst einmal der Erlöserplatz mit dem angrenzenden Wohnbezirk Marszałkoska-Straße. Man mag kaum glauben, dass sich auf dem überschaubaren Erlöserplatz gleich mehrere Hauptverkehrsstraßen kreuzen. Es gibt neben der Erlöserkirche mehrere Cafés, in denen sich vorwiegend intellektuell wirkende junge Leute aufhalten. Hier trifft der Baustil des sozialistischen Realismus auf den dominanten Barock der Erlöserkirche.

Am Plac Zbawiciela

Gleich nebenan beginnt der Wohnbezirk Marszałkowska-Straße, der in den 1950er Jahren für etwa 45.000 Menschen errichtet wurde. Die wuchtigen Gebäude mit ihren breiten Balkonen und Arkaden erinnern an die Bebauung der Berliner Karl-Marx-Allee, ohne dieser aber ernsthaft das Wasser reichen zu können.

Sozialistischer Realismus in der Aleje Jerozolimskie

Ein weiteres interessantes Ziel in Warschau ist der Powązki-Friedhof (Cmentarz Powaązkowski) in der nördlichen Innenstadt. Er liegt in der gleichnamigen Powązkowska-Straße, übrigens ganz in der Nähe der Arkadia-Einkaufsmall (deren Besuch nicht lohnt, da hier nur der übliche Shoppingmall-Kram angeboten wird). Mit etwa 2,5 Millionen Einlägern ist er so etwas wie eine Nekropolen-Großstadt. Aber irgendwo müssen die vielen Toten, die sich im Laufe der Geschichte einer Metropole so ansammeln, ja untergebracht werden.

Viele der alten Gräber und Gruften zerbröseln vor sich und erlauben Einblicke in ihr Inneres. Leider haben wir keine Skelette, Mumien oder ähnliches entdecken können. Vielleicht sollten wir das nächste Mal eine Taschenlampe mitnehmen, um die Innenräume der Gräber besser ausleuchten zu können.

Im Cmentarz Powazkowski

Die Abende verbringen wir meistens im Bereich der Altstadt, wo wir nach dem Besuch unserer Stammkneipe zum Multimediabrunnen taumeln. Dieser befindet sich unterhalb der Altstadt an der Weichsel. Um genau zu sein, nicht ganz an der Weichsel, sondern gleich neben der lärmigen Hauptverkehrsstraße, die an der Weichsel entlang führt. Hätten die Stadtplaner mal nach Minsk geschaut, hätten sie vielleicht nicht den zentralen Fluss Warschaus mit dicken Verkehrsadern verschandelt.

Tagsüber ist der Multimediabrunnen ein gewöhnliches Wasserspiel. Abends findet zu bestimmten Zeiten (bei uns sogar durchgängig) eine Wassershow mit beleuchteten Fontänen statt. Sehenswert ist das allemal.

Abendlicher Trubel an der Zygmundtsäule

An unserem letzten Tag geht es früh ins Bett, weil wir schon um sechs Uhr früh mit dem ersten Berlin-Warszawa-Express nach Berlin fahren müssen. Alle anderen Züge waren leider ausgebucht. Dafür gab es im Bordrestaurant Wars gleich Bier und Wodka. Da haben selbst die Polen gestaunt.

Abends am Multimediabrunnen

Abends auf der Krakowskie Przedmiejsce

Grabmal des Unbekannten Soldaten

 

Und noch zwei Tage Berlin – ein Abgesang

Kilometer Berlin, Tag 1: 26,60
Kilometer Berlin, Tag 2: 19,80

Wenn man in Deutschland lebt, ist man zuweilen in dem Glauben, Bürger eines reichen, kultivierten und hochentwickelten Landes zu sein (jedenfalls dann, wenn man wenig Zeitung liest und das Privatfernsehen meidet.) Pustekuchen. Denn wenn man aus Minsk über Warschau nach Berlin kommt, sieht das ganz anders aus. Je nach dem, wo man sich aufhält, stinkt Berlin gegen die beiden anderen Hauptstädte gewaltig ab.

Das fängt schon mit dem Berliner Hauptbahnhof an. Bis man mit seinen Rädern einen der wenigen Fahrstühle nach oben zum Ausgang ergattert hat, vergehen schonmal zwanzig Minuten. Warum soll man sein rollbares Handgepäck auf Rolltreppen nach oben fahren, denken sich wohl viele und stehen aus Faulheit lieber unnötig am Fahrstuhl an.

Kaum in Deutschland, Ärger im Berliner Hauptbahnof

Und dann das DB-Reisezentrum. Es zu finden bedarf eines detektivischen Gespürs. Immerhin befinden wir uns im hypermodernen Zentralbahnhof der deutschen Hauptstadt. Da sollte man doch wohl irgendwo Fahrkarten kaufen können. Kann man auch, aber man muss außer viel Geld auch noch jede Menge Geduld mitbringen. Unermessliche Geduld. Im für den großen Bahnhof viel zu kleinen Reisezentrum müssen Wartenummern gezogen werden. Mit denen kann man sich dann erst einmal in die nächste Kneipe setzen, denn zwischen gezogener und angezeigter Nummer liegen Zahlen im Bereich der anvisierten Baukosten des neuen Hauptstadtflughafens. Gefühlt zumindest.

Da hilft nur polnisches Bier!

Und so sitze ich und warte, bis Claudi nach fast einer Dreiviertelstunde mit zwei Zugtickets nach Lübeck zurück kommt. Zwischenzeitlich habe ich mir aus lauter Langeweile ein polnisches Starkbier gegönnt und damit auf mein Heimatland angestossen. Willkommen in Deutschland!

In und um Friedrichshain, wo wir wieder im Hotel Georgenhof residieren, herrscht Partystimmung. Horden junger Pickelträger bevölkern die Straßen und tragen die obligatorischen Bierflaschen mit sich herum. Viele davon landen auf den Geh- und Radwegen, so dass wir beim Radeln Scherben-Slalom betreiben müssen.

Gedenkstätte der Sozialisten, Gedenkstein für Walter Ulbricht

Überhaupt wirkt die Gegend zwischen Warschauer Straße, Oberbaumbrücke und Kreuzberg verranzt, versifft und schäbig. Einmal wollen wir uns ein Konzert angucken und fahren zur Location (Name vergessen, war in der Köpenicker Str.), doch die sieht von außen aus wie eine Mischung aus Abbruchbude und Müllplatz. Da zahlt man doch keinen Eintritt.

Verglichen mit Warschau und insbesondere mit Minsk ist Berlin ein drittklassiges Dreckloch – zumindest Friedrichshain und Kreuzberg. Gut, dass wir nur zwei Tage bleiben.

Sowjetisches Ehrenmal

Irgendwo in Treptow

 

 

 

 

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